Verheißenes Land
zu schlagen. »Ist das wahr? Du hast Patrick gesehen?«
»Quatsch«, kam es schroff von Brendan, noch bevor Emily antworten konnte. »Das geht überhaupt nicht! Der Bursche kann unmöglich hier sein!«
Emily sah ihn verwundert und auch ein wenig ärgerlich an. »Woher willst du denn das wissen? Es kann doch gut sein, dass Mister O’Brien ebenfalls mit einem Wagenzug nach Kalifornien oder Oregon ziehen will! Er war von unserer Idee jedenfalls ganz angetan. Also warum soll er nicht doch noch gekommen sein?«
»Na ja, weil … weil …« Brendan stockte und ließ den Satz unbeendet. »Für so einen Treck ist sich der hochwohlgeborene Herr Schriftsteller doch viel zu fein. Der ist jetzt mit bedeutenderen Dingen beschäftigt. Außerdem ist er ja in New York noch nicht einmal zur Fährstelle gekommen, obwohl Éanna ihn darum gebeten hatte!«
Die Bemerkung traf sie, doch Éanna ließ sich nichts anmerken. »Das stimmt, aber er kann es sich doch anders überlegt haben. Und zu fein ist sich Patrick ganz bestimmt nicht!«
»Wenn du meinst«, brummte Brendan. Und damit machte er sich wieder daran, zusammengetragenes Feuerholz zu Bündeln zu verschnüren.
Der Tag hielt jedoch noch mehr Überraschungen bereit. Zur Mittagsstunde näherten sich dem Wagenlager vier weitere Prärieschoner, die sich offenbar noch am letzten Tag Palmers Zug anschließen wollten.
Die Neuankömmlinge erweckten sofort die Aufmerksamkeit der anderen Teilnehmer, die sich bei näherem Hinsehen in ungläubiges Staunen und teilweise auch in Spott verwandelte. Denn drei der Wagen hatten eine mehr als ungewöhnliche Fracht geladen – nämlich mehrere Hundert junge Bäume, die in längliche Kästen gepflanzt waren.
»Das müsst ihr euch ansehen«, rief Liam, der sich beim Herannahen der vier Wagen zufällig in der Nähe von Nathan Palmers Zelt aufgehalten hatte. »Da ist ein Verrückter, der mit einer rollenden Baumschule auf den Trail gehen will!«
Brendan winkte lachend ab. »Du willst uns wohl auf den Arm nehmen.«
»Nein, keineswegs. Es ist genau so, wie ich es sage!«
Als Liam nicht lockerließ und darauf bestand, dass sie das Schauspiel mit eigenen Augen ansehen sollten, legten Éanna, Brendan und Emily ihre Arbeit beiseite und gingen hinüber zu den neuen Wagen. Es erwies sich jedoch als gar nicht so leicht, einen guten Blick auf den rollenden Wald zu erhaschen. Denn mittlerweile waren nicht nur die Männer, Frauen und Kinder ihres Wagenzuges dort zusammengelaufen, sondern auch viele Overlander von den umliegenden Camps. In Scharen drängten sie sich um die merkwürdige Attraktion und alle wollten sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass tatsächlich jemand auf die lächerliche Idee verfallen war, mit Hunderten von jungen Bäumen auf den monatelangen Treck zu gehen.
»Hat denn keiner diesem Einfaltspinsel erzählt, dass uns der Treck über gewaltige Bergketten und jede Menge Flussüberquerungen führen wird?«, spottete jemand und blickte verständnislos auf die Wagen der Neuankömmlinge.
»Und wie sollen seine Bäumchen die trockenen Einöden überstehen?«, rief ein anderer fast mitleidig.
Auch Éanna und ihre Freunde konnten sich nicht vorstellen, dass die jungen Bäume heil im Westen ankommen würden. Sie wollten sich gerade einen Weg durch die Menge bahnen, um sich das Spektakel näher anzusehen, als Emily Éanna am Arm packte und triumphierend rief: »Wusste ich’s doch, dass ich mich nicht getäuscht habe. Sieh nur da drüben, da ist Mister O’Brien!«
Wie elektrisiert fuhr Éanna herum und blickte in die Richtung, in die ihre Freundin wies. Und tatsächlich, dort beim vierten Wagen, dessen Plane geschlossen war und der nicht von einer Menschengruppe umlagert wurde, stand Patrick O’Brien.
Éannas Herzschlag setzte aus. Mehr noch als der Schock über das unerwartete Wiedersehen wühlte sie maßlose Freude auf. Patrick war ihr tatsächlich nachgereist und würde mit ihnen auf die Reise nach Kalifornien gehen! Sie schlug sich eine Hand vor den Mund und fasste mit der anderen nach Emilys Arm. Die Aufregung um die rollenden Bäume verschwamm zu einem bunten Rauschen und Éanna dachte an nichts anderes mehr als an den Mann, den sie schon verloren geglaubt hatte.
Auch Brendan hatte Emilys Ruf gehört. Bestürzt folgte er Éannas Blick und alle Farbe wich aus seinem Gesicht, als er Patrick erblickte.
Fünfzehntes Kapitel
»Kommt, wir gehen hin und begrüßen ihn«, forderte Emily ihre Freunde auf.
»Den Teufel werde ich
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