Verheißenes Land
alle Hände voll zu tun, das ängstlich schnaubende Vieh in das Innere der Wagenburg zu bringen, damit die Tiere nicht in wilder Panik davonstürzten. In den strömenden Fluten, die auf sie niedergingen, konnten sie zeitweise kaum ihre eigene Hand vor Augen sehen. Schräge Regenvorhänge, die mit schwerem Getöse herunterrauschten und in Gischt auf dem Boden aufspritzten, umgaben das Lager. Gegen diese wahre Sintflut konnte selbst eine mit Leinöl getränkte Plane wenig ausrichten.
Kaum hatten sie Ochsen, Pferde, Kühe, Rinder und Ziegen in das geschlossene Rund getrieben, als wütende Windböen von unglaublicher Kraft das Camp trafen – und mit einem Schlag zwei schwer beladene Prärieschoner umstürzten, als wären sie leicht wie leere Bretterkisten.
»Gebt auf die Wagen acht!«, schrie jemand mit gellender Stimme. Éanna glaubte, sie als die von Peer Erickson zu erkennen, dessen Wagen in der Kolonne vier Plätze vor ihnen positioniert war. »Der Sturm hat schon zwei umgeworfen! Wir müssen sie mit Seilen sichern!«
»Das gibt es doch gar nicht, dass der Wind so viel Kraft hat«, stöhnte Brendan fassungslos. Sie hatten zu viert Zuflucht im Wagen gesucht und kauerten nun eng beieinander auf ihren Kisten und Fässern. »Keiner hat weniger als tausend Pfund Fracht geladen!«
»Tja, dann wirft der Sturm eben auch Wagen mit tausend Pfund Fracht um«, erwiderte Liam und knotete hastig die Schnüre auf, die die beiden Planenenden am Eingang zusammenhielten. »Los, komm mit! Irgendwie müssen wir unseren Wagen sichern.«
»Beeilt euch«, drängte Emily, während immer neue Windstöße den Wagen trafen und an ihm rüttelten, dass die Vorräte durcheinanderpurzelten. »Lange hält unsere Sweet Sallie das nicht aus!«
Brendan griff nach zwei Seilrollen und dem Bündel zusammengeschnürter Holzpflöcke, mit denen sie jeden Abend ihr Zelt aufbauten. »Bring den Hammer mit! Er liegt vorn im Kasten«, rief er Éanna zu, während er schon hinter Liam aus dem Wagen kletterte und hinaus in die regengepeitschte Sturmnacht sprang.
Hastig schnitten sie eines der Seile auf halber Länge durch, befestigten die Enden vorn und hinten am Wagen und spannten die Leinen mithilfe der Pflöcke in die Richtung, aus der Wind und Regen heranjagten. Auch auf der anderen Seite brachten sie zur Sicherheit ein Seil an.
»Braucht ihr mich noch?«, rief Éanna, als sie den letzten Pflock in die Erde getrieben hatte, und nahm den Rest des zweiten Seils an sich.
»Nein. Warum fragst du?«
»Weil ich zu den anderen will, die vielleicht noch Hilfe brauchen.«
»Und an wen denkst du dabei?«, fragte Brendan argwöhnisch. »Vielleicht an die Seligmanns, bei denen sich der Herr Schriftsteller einquartiert hat?«
»Ja, an die auch! Ohne fremde Hilfe kommen sie mit ihren vier Wagen niemals zurecht und die jungen Bäume nehmen bei so einem unglaublichen Sturm bestimmt schnell Schaden, der nicht wiedergutzumachen ist«, antwortete sie gereizt. »Aber ich will auch nach Mister Talbot sehen.«
Éanna sah im Licht der Blitze, wie sich Brendans Gesicht verfinsterte. Er stemmte die Arme in die Seiten und musterte sie stumm. So stand er regungslos vor ihr, im strömenden Regen und noch ganz außer Atem von der überstürzten Arbeit. Er versuchte jedoch nicht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. »Tu, was du nicht lassen kannst!«, schrie er dann gegen das Unwetter an. »Aber das Seil kommt wieder zurück zu uns, wenn der Sturm vorbei ist!«
Éanna ersparte sich eine Antwort und wankte unter den Windstößen zu der Wagengruppe der deutschen Auswanderer, die es sich in den Kopf gesetzt hatten, eine komplette Baumschule nach Oregon zu bringen.
Erika und Siegbert Seligmann waren der Verzweiflung nahe, fürchteten sie doch, bei dem Sturm unzählige ihrer jungen Obstbäume zu verlieren. Sie wussten gar nicht, wo sie zuerst Hand anlegen sollten. Obwohl neben Patrick auch ihre beiden halbwüchsigen Söhne sowie die zehnjährige Tochter mitarbeiteten, waren es doch viel zu wenig Helfer. Denn bei ihnen ging es nicht allein darum, die Wagen durch Spannseile zu sichern, sondern sie mussten zusätzlich eine zweite Schutzplane über die Wagen mit den Bäumen ziehen. Deshalb waren sie in höchstem Maße dankbar, als Éanna bei ihnen auftauchte und tatkräftig mithalf, um Schaden von ihrer kostbaren Fracht abzuwenden.
Sie arbeitete Seite an Seite mit Patrick. Bis auf die kurzen Kommandos und notwendigen Absprachen beim Bändigen der störrischen Leinwandplanen fielen
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