Verheißung Der Nacht
angehalten hatte. Sie wandte sich um und fuchtelte mit den Schlüsseln in der Hand herum, ihre Finger zitterten so sehr, dass sie den Haustürschlüssel nicht zu fassen bekam.
Ein Schatten bewegte sich neben der Hintertreppe. Sie erstarrte, ein leiser Schrei erstickte in ihrer Kehle.
»Ich bin es nur«, sagte Reid.
Etwas lag in seiner Stimme, eine Wachsamkeit, die sie zuvor noch nicht gehört hatte. Er lächelte nicht, sein Gesicht wirkte angespannt. Seine Brust hob und senkte sich, als sei er gelaufen. Sie hatte ihn doch erst vor so kurzer Zeit verlassen, er musste durch den Wald nach Evergreen gelaufen sein, in dem Augenblick, als sie losgefahren war.
Als sie nicht antwortete, meinte er: »Ich habe den Wagen gesehen und Stimmen gehört, als ich meine übliche Patrouille machte. Ich dachte, du brauchtest vielleicht Hilfe, aber das war nicht so.«
Seine übliche Patrouille. Natürlich hatte sie das gewusst , auch wenn sie es vor sich selbst nicht zugegeben hatte. Doch diese Überlegung schob sie schnell beiseite, als ihr klar wurde, was er alles gehört haben musste .
Was sie zu Gordon gesagt hatte, hatte wohl eher wie eine Drohung geklungen und nicht wie eine Warnung, wie sie es beabsichtigt hatte. Und Reid glaubte schon jetzt, dass sie vielleicht Keith umgebracht hatte. Wenigstens hatte er sie in diesem Glauben gelassen.
»Du irrst dich«, sagte sie. »Ich brauchte dich wirklich.«
»Warum?« fragte er und legte den Kopf schief. »Möchtest du vielleicht, dass ich ihn für dich umbringe? Ist das der Grund dafür, dass du mich in deiner Nähe behältst?«
Das war kein Angebot, aber es sollte auch kein Spaß sein. Er hatte sie wirklich fragen wollen, ob er Gordon Hutton umbringen sollte oder ob sie es lieber selbst tun wollte. Schon einmal hatte er ihr einen solchen Vorschlag gemacht, um sie zu einer Antwort zu provozieren, als Vergeltung dafür, dass sie ihn dazu gebracht hatte zuzugeben, dass er zu einer solchen Tat fähig war. Doch diesmal war er todernst, er glaubte wirklich, sie wollte, dass Gordon Hutton starb.
Cammie warf ihm einen Blick schmerzlicher Ungläubigkeit zu, dann wandte sie sich von ihm ab. Sie stolperte, als sie die Treppe hinauf und über die Veranda zur Tür lief. Nach drei vergeblichen Versuchen gelang es ihr endlich, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Sie stürmte ins Haus und schlug die schwere Tür hinter sich zu.
Sie hätte sich gar nicht zu beeilen brauchen, Reid war ihr nicht gefolgt. Als sie aus dem Fenster sah, konnte sie niemanden entdecken.-Er war weg.
Es dauerte lange, bis Cammie in dieser Nacht einschlief. Bilder erstanden vor ihren geschlossenen Augen. Sie veränderten sich wie unter einem Kaleidoskop. Keith und Reid in der Dunkelheit am See, Reid mit dem kleinen Mädchen auf dem Familientreffen, der Schatten eines Mannes, der Evergreen beobachtete und der nicht Reid war, Wen in ihrem Boot auf dem See, Reverend Taggart, der über die Ehe sprach, Reid und Charles, die die Köpfe vor dem Computer zusammensteckten, Gordon und seine Mutter auf Keiths Beerdigung, Bud, der ihr Dummheit vorwarf, Tante Beck, die von Skandalen sprach, von alten und neuen, Gordon, wie er aus seinem Wagen stieg. Es schien, dass allen diesen Bildern ein bestimmtes Muster zugrunde lag, Antworten, die sie brauchte, aber die sie nicht erkennen konnte.
Sie fragte sich, als ihr Reids Worte noch einmal durch den Kopf gingen, ob ihn ihre Zweifel an seiner Unschuld wohl ebenso verletzten, wie seine Zweifel ihr weh taten. Ein eigenartiger Gedanke, denn das wäre wohl nur möglich, wenn er wirklich unschuldig war. Aber wenn er an ihre Schuld glaubte, war das denn nicht der Beweis dafür, dass er unschuldig war? Er konnte sie nicht eines Verbrechens verdächtigen, das er selbst verübt hatte. Ach, wenn es doch nur möglich wäre, ihm zu vertrauen.
Soll ich ihn für dich umbringen?
Sie war sich der Bedeutung seiner Worte so sicher gewesen, als sie zusammen mit ihm an der Treppe gestanden hatte. Doch jetzt, in den dunklen Stunden der Nacht, kamen ihre Zweifel zurück. Es war möglich, dass sie ihn missverstanden hatte, dass seine Worte dennoch ein Angebot gewesen waren. War das nicht die Art, wie er sich ihr gegenüber von Anfang an gegeben hatte: unnachgiebig, selbstlos und immer zu entsprechenden Diensten bereit?
Als sie früh am nächsten Morgen aufstand, lagen dunkle Schatten unter ihren Augen, und Kopfschmerzen bohrten hinter ihrer Stirn. Der Gedanke, zu Hause zu bleiben, nichts anderes zu tun zu
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