Verheißung Der Nacht
gesagt. Warum? Wollte er Stillschweigen bewahren, bis der Verkauf abgeschlossen war, damit es keine Opposition geben konnte? Oder hatte er einfach nur geglaubt, dass dieser Verkauf lediglich seine Privatangelegenheit war?
Um fair zu sein, eigentlich ging die ganze Sache sie überhaupt nichts an. Abgesehen von dem Teil der Fabrik, der Keith und seinem Bruder Gordon gehörte, war es Reids Fabrik. Er konnte damit machen, was er wollte. Er war nicht verpflichtet, mit ihr darüber zu reden, so wie er es heute abend getan hatte. Doch letzten Endes ging es hier um viel umfassendere Sachverhalte, es ging um das Leben der Menschen und ihr Auskommen.
Sie legte die Finger um ihr Weinglas, drehte es und sah zu, wie die Kerze auf dem Tisch den Wein golden aufleuchten ließ. »Hast du überhaupt schon einmal darüber nachgedacht, wie sich die ganze Angelegenheit auf Greenley auswirken wird und auf den Rest der Gemeinde?«
»Ich habe an kaum etwas anderes gedacht«, versicherte er ihr sofort. »Greenley ist eine sterbende Stadt - hast du das vielleicht noch nicht bemerkt? Die Hälfte der Läden auf der Main Street hat schon geschlossen. Zwei von drei der örtlichen Autohändler haben ihr Geschäft schon aufgegeben. Es gab einmal drei Kinos in Greenley, sieben oder acht Cafes, drei oder vier Herrenfriseure. Jetzt existiert keiner mehr von ihnen. Wo sind sie denn alle abgeblieben?«
Cammie zuckte mit den Schultern. »Viele Geschäfte haben geschlossen, nachdem der Wal-Markt gebaut wurde - der Five-and-Dime, der Dollar Store und einige der Warenhäuser -, aber der Wal-Markt beschäftigt doppelt so viele Menschen wie sämtliche andere Läden zusammen, die zugemacht haben. Die Cafes haben geschlossen, als die Fast-food-Läden aufmachten, und die Herrenfriseure bedienen jetzt auch Frauen. Abgesehen davon ist das Problem heutzutage, dass die
Menschen viel beweglicher sind als früher, sie fahren in die größeren Städte, wo sie viel mehr Auswahl haben, wenn sie sich ein Auto kaufen wollen oder neue Kleidung, oder auch, wenn sie einfach nur essen gehen wollen. Es ist nicht so, dass die Menschen Greenley verlassen.«
»Aber sie gehen doch«, bestand Reid auf seiner Meinung. »Auch wenn die Papierfabrik alles getan hat, um die Arbeitsplätze zu erhalten, so musste n wir doch automatisieren, um konkurrenzfähig zu bleiben. Und das bedeutet, dass wir jetzt weniger Menschen beschäftigen als noch vor zehn Jahren.«
»Es werden aber auch weniger Kinder geboren«, betonte Cammie.
»Richtig, aber das ist nicht der Punkt, bis auf die Tatsache, dass mehr Geld da ist, um es für die Ausbildung der Kinder zu verwenden. Die Kinder machen ihren Abschluß an der Universität, sie haben Diplome, mit denen sie in Greenley nichts anfangen können. Deshalb ziehen sie nach New Orleans oder nach Baton Rouge, nach Atlanta und L. A. So muss es aber nicht unbedingt sein.«
»Vielleicht. Was wir brauchen, ist eine vielfältige Industrie, nicht noch mehr der gleichen Fabriken. Greenley war schon immer eine Stadt, die nur von einem Industriezweig abhängig war, von der Papierindustrie, und das schon viel zu lange.«
»Da stimme ich dir zu«, meinte Reid ernst. »Aber ehe wir nicht besseren Zugang zu nationalen Märkten haben, wird sich daran auch nichts ändern, und das würde bedeuten, wir müssen einen vierspurigen Highway bauen, bis hin nach Nord-Louisiana. Aber das wird nicht möglich sein, ehe nicht mehr Geld im Staatssäckel ist. Und das Geld wird nicht hereinkommen, wenn sich die Wirtschaft nicht verändert und mehr Geld verdient. Wir reden hier von Jahren, aber die schwedische Firmengruppe will jetzt handeln.«
Cammie preßte die Lippen zusammen und lehnte sich in ihrem Stuhl vor. »Sie werden zu viel Holz schlagen, auch wenn sie nicht die ganzen Flächen kahlschlagen, was gut möglich wäre. Und wenn es keine Baumwurzeln mehr gibt, die die Erde festhalten, dann werden die Überschwemmungen die Bäche und die Ströme, die Bayous und die Flüsse und Seen mit Schlamm anfüllen. Eine Menge dieser Wasserwege sind gerade erst dabei, sich von den Verschmutzungen der vierziger und der fünfziger Jahre zu erholen, sie werden eine neue Verschmutzung nicht überstehen. Die Gemeinde wird das Geld, das sie durch die Vermehrung der Jobs einnimmt, für Umweltschutzmaßnahmen wieder ausgeben müssen.«
»Die Forstwirtschaftsbehörde unterhält die Wasserwege«, warf Reid mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme ein. »Sie würde nie zulassen, dass die
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