Verheißung Der Nacht
Beck auf die Tische zukommen sah, ging sie ihr entgegen.
Die ältere Frau, deren Verstand noch immer messerscharf arbeitete, war schon beinahe hundert Jahre alt und sah noch immer so ansehnlich aus wie eine Pusteblume. Sie war mit ihrer verwitweten Tochter gekommen, die gerade eine riesige Platte voller gebratener Hühnchen mit Sauce auf einen der Tische stellte. Tante Beck mühte sich mit einer riesigen Schüssel Kartoffelsalat ab, die beinahe so groß war wie sie selbst.
Cammie begrüßte ihre Tante und umarmte sie dann, eine Begrüßung, die nur Familienmitgliedern oder engen Freunden vorbehalten war. Dann griff sie nach der großen Schüssel.
Die Plastikschüssel mit dem Deckel war warm. »Sollte das nicht auf Eis stehen?« fragte sie zweifelnd und sah die ältere Frau an.
Ihre Großtante mit dem kurzgeschnittenen weißen Haar, das in weichen Wellen frisiert war und so duftig aussah wie die Federn eines Engelsflügels, sah sie mit ihren schwarzen Augen an. »Was glaubst du eigentlich, mit wem du redest, Mädchen? Seit siebzig Jahren schon bringe ich zu Familienfeiern Kartoffelsalat mit, und bis jetzt habe ich noch niemanden damit vergiftet. Ich habe diesen Salat aus neuen Kartoffeln gemacht, ich habe sie mit der Schale gekocht und dann Zwiebeln und Pickles dazugetan, aber keine Eier und auch keine Mayonnaise. Joghurt ist drin, und das ist gut für dich. Probier einmal, und du wirst sehen, es ist der beste Kartoffelsalat, den du je gegessen hast.«
»Jawohl, Ma'am«, antwortete Cammie bescheiden, doch ihre Augen blitzten belustigt auf. Tante Beck hatte schon immer für sich selbst sorgen können, und das würde sie auch in Zukunft tun. Noch nie hatte sie etwas vergessen, und so schnell ließ sie sich nichts vormachen. Sie kam sehr gut zurecht, im Winter züchtete sie Orchideen und Bromelien in ihrem kleinen Gewächshaus, sie harkte ihren Garten, grub Blumenbeete um und pflanzte in jedem Frühjahr Stecklinge und
Samen. Voller Zuversicht plante sie die Party zu ihrem hundertsten Geburtstag, und es gab keinen Grund anzunehmen, dass sie ihn nicht mehr erleben würde.
»Was habe ich da über dich und diesen Sayers-Jungen gehört?«
Den dunklen alten Augen entging nichts, sie waren klar und wachsam und gaben Cammie das Gefühl, wieder sieben Jahre alt zu sein. »Nichts Wichtiges«, antwortete sie verlegen.
»Hmph. Sein Großvater war ein feiner Mann, Aaron hieß er. Ich bin ein- oder zweimal mit ihm ausgegangen, ehe ich meinen Henry geheiratet habe.«
»Tante Beck!« Cammie tat so, als sei sie schockiert.
Die ältere Frau legte den Kopf schief und betrachtete Cammie. »Denkst du etwa noch immer an diesen Familienunsinn? Ich habe dem nie irgendwelche Bedeutung beigemessen. Außerdem ist es dumm, wenn man jungen Leuten vorschreiben will, dass sie einander nicht ansehen dürfen, es ist so, als wolle man einem Kätzchen verbieten zu kratzen. Andererseits ist Aarons Enkel anders, er ist eher wie der alte Justin Sayers. Und wie man hört, war Justin ein sehr netter Mann, sofern man ihm nicht in die Quere kam. Dann war er ein wahrer Teufel.«
»Wirklich?« fragte Cammie nüchtern.
»Was ich damit sagen will, ist, dass du vorsichtig sein sollst.« Tante Beck nickte ihr zu.
»Ich glaube, du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen.«
»Hmph«, sagte die alte Frau noch einmal, ihre dunklen Augen blickten skeptisch.
Der Morgen verging. Immer mehr Autos kamen an, mehr lachende Männer und Frauen, mehr schreiende Kinder, mehr Essen. Eine Band, bestehend aus zwei Gitarrenspielern, einem Keyboardspieler und einem Spieler mit einer Baßgeige, stellte sich auf der behelfsmäßig gezimmerten Bühne auf und spielte die bekanntesten Country- und Westernlieder. Ein Volleyballnetz wurde aufgehängt, und die Teenager begannen ein Spiel. Einige Holzkohlengrills wurden angezündet und Hühnchen und Rippchen, die schon zu Hause gegrillt worden waren, wurden darauf warm gemacht. Der Rauch und der köstliche Duft hingen wie ein blauer Nebel über der Versammlung.
Cammie ging hierhin und dorthin, redete mit einigen ihrer Verwandten, frischte alte Bekanntschaften auf und erforschte einige Verwandtschaftsverhältnisse. Irgend jemand hatte einen Computerausdruck eines Stammbaums erstellt, den sah sie sich an und bestellte dann, wie die meisten der anderen auch, einen Ausdruck davon für sich.
Reid, so stellte sie fest, hatte kaum seinen Platz unter der großen Eiche verlassen, er stand nur am Rand der Gruppe der Männer und so
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