Verheißung des Glücks
erzählst, hat mit dem, den ich getroffen habe, absolut nichts zu tun. Ganz sicher nicht«, sagte Melissa. »Lincoln Burnett ist ein ganz anderer Mensch als derjenige, den du mir schilderst.«
Ian lachte. »Davon musstest du mich nicht erst überzeugen, Meli. Ich habe keine Sekunde lang geglaubt, dass dein flüchtiger Bekannter der alte Line sein könnte. In meiner ganzen Jugend habe ich hier keinen einzigen Burnett getroffen. Wahrscheinlich lebte die Familie nicht lange hier. Kamen und gingen wohl wieder, bevor jemand merkte, dass sie hier waren. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein englischer Untertan der Königin hier auftaucht, um herauszufinden, warum es ihr bei uns so gut gefällt.«
Das klang recht plausibel und erklärte, warum Ian Lincoln Burnett nicht kannte. Außerdem war der dumme Line von damals ein Schotte gewesen. Und das war ihr Lincoln nun ganz gewiss nicht. Melissa versank wieder in stumme Betrachtung der Landschaft und zählte dabei die Minuten, bis sie Mr. Burnett wiedersah.
Sechstes Kapitel
Lincoln wusste, es würde ihm nicht leicht fallen, mit seiner Mutter an einem Tisch zu sitzen. Dem gestrigen Abendessen hatte er sich entziehen können, indem er vorgab, die Reise habe ihn furchtbar ermüdet. Er war selten beim Frühstück anzutreffen, denn meist war er bereits stundenlang wach und unterwegs. Ein gemeinsamer Lunch ließ sich jedoch nicht mehr umgehen, und dieses Mittagessen wurde genauso anstrengend und unerfreulich, wie Lincoln befürchtet hatte. Die krampfhaften Bemühungen seiner Tante und seiner Kusine, das Gespräch in Gang zu halten, waren nicht dazu angetan, über Lincolns mangelnde Beteiligung hinwegzutäuschen. Dass er allerdings viel zu geistesabwesend sein würde, um wenigstens einen halbwegs interessierten Zuhörer abzugeben, hatte selbst er nicht vorausgesehen.
Edith sagte ihm das nach zwei qualvollen, nicht enden wollenden Gängen in der Menüfolge dann doch recht deutlich. Seine sanftmütige Kusine, die sonst fast nie die Stimme hob, schrie ihn geradezu an: »Lincoln! Was ist bloß mit dir los?« »Wie bitte?«
»Wir fragen dich gerade zum dritten Mal«, sagte sie kopfschüttelnd. »Unternimmst du nun heute Nachmittag einen Ausritt mit mir oder nicht? Es ist schließlich mein erster Besuch in Schottland, und ich würde gerne etwas mehr von diesem viel gerühmten Hochland sehen als die Aussicht aus dem Fenster der Kutsche.«
»Tut mir leid, Edi. Aber ich habe gestern jemanden kennen gelernt und muss andauernd an diese Begegnung denken.«
»Ich hoffe, es handelt sich um ein Mädchen«, meldete Henriette sich zu Wort.
»Ja. In der Tat.«
Lincolns Tante lächelte zufrieden und schien offenbar wieder einmal ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. »Wunderbar! Ich habe gar nichts dagegen, wenn du dir eine Braut suchst, bevor die Saison überhaupt begonnen hat. Ja, du hast richtig gehört. Es gibt keinen Grund, es auf die lange Bank zu schieben. Ich kann ja schon einmal deine Hochzeitsfeier planen, während du Edith zu den Bällen begleitest.«
Lincoln gab sich die größte Mühe, nicht die Augen zu verdrehen. »Ich weiß doch außer ihrem Namen noch kaum etwas über sie. Wir sind einander schließlich erst gestern begegnet. Rein zufällig, Tante.«
»Glaub mir, mein Junge, wenn ein Mann so abgelenkt ist, dass man fürchten muss, sein Gehör habe Schaden genommen, dann denkt er bereits an Heirat«, beharrte Henriette.
Lincoln errötete. Der Grund dafür war nicht der Gedanke an die Hochzeit, den seine Tante aussprach, sondern dass er eben darauf nicht gekommen war. Lincoln war absolut sicher, dass er Melissa MacGregor nicht nur für eine kurz bemessene Zeit in seinem Leben haben wollte. Jedes Mal, wenn er an eine flüchtige Affäre während seines Aufenthaltes hier in Schottland dachte, regte sich irgendwo tief in seinem Inneren Widerstand. >Kurz< und >flüchtig< genügte ihm einfach nicht. Dafür war sein Verlangen nach Melissa MacGregor viel zu groß. Nur eine dauerhafte Beziehung würde den Gefühlen Rechnung tragen, die sie in ihm ausgelöst hatte.
Die Gedanken an diese Frau hatten ihn die halbe Nacht lang wach gehalten. Bevor er endlich eingeschlafen war, hatte er noch beschlossen, ihr ein kleines Anwesen in England zu kaufen. Dort würde sie als seine Geliebte wohnen. Nur wie er ihr diesen Vorschlag schmackhaft machen sollte, wusste er noch nicht. Es gehörte bislang auch nicht zu seinen Gewohnheiten, sich eine Geliebte zu halten, denn noch nie hatte er eine Frau
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