Verheißung des Glücks
er Engländer?«
»Engländer, durch und durch.«
»Du kennst ihn also?«
»Das wäre zu viel gesagt. Wir haben uns gestern durch Zufall getroffen«, antwortete sie. »Ich fand ihn sehr nett — und er sieht blendend aus.«
Ian lachte leise. »Offenbar gefällt er dir. Die Reise nach London kannst du dir ja dann gleich schenken.«
Ian zählte nicht zu den Onkeln, die Melissas Verehrer vergrault hatten. Mit seinen beinahe vierzig Jahren war er schon deutlich besonnener geworden als früher und gab einem Mann im Allgemeinen erst einmal Zeit, sich zu beweisen, bevor er ein Urteil über ihn fällte. Zumindest aber verkniff er sich sämtliche eindeutigen Warnungen und versteckten Drohungen, bis er eine wirkliche Notwendigkeit dafür sah. Noch immer konnte er genauso heißblütig und aufbrausend reagieren wie seine Brüder — nur war er für gewöhnlich nicht mehr der Erste, der sich ins Kampfgetümmel stürzte.
»Wir konnten uns leider nur kurz unterhalten, und ich vergaß ihn zu fragen, für wie lange er hier ist. Wer weiß, vielleicht kommt er ja öfter ins Hochland. Ich hoffte, du würdest dich vielleicht an ihn erinnern und mir ein bisschen mehr über ihn erzählen können.«
»Woher sollte ich ihn denn kennen? Ich erinnere mich an keinen Burnett in unserer Gegend. Früher gab es einmal einen Line, so nannten wir einen Jungen namens Lincoln. Aber der dumme Kerl war genauso schottisch wie du und ich.«
»Ich bin es nur zu drei Vierteln«, korrigierte Melissa ihren Onkel grinsend.
»Stimmt. Und jetzt, wo du es sagst, fällt mir ein — er war es auch nur zur Hälfte. Aber das ist im Grunde einerlei, denn er hieß Ross und nicht Burnett. Ein Mädchen mag ja irgendwann mit einem neuen Nachnamen nach Hause kommen. Aber ein Mann behält normalerweise den, mit dem er geboren wurde.«
»Er sagte, er sei vor neunzehn Jahren von hier weggezogen. Ich weiß nicht, ob er inzwischen noch einmal hier war. Vielleicht lebt seine Familie irgendwo im Hochland. Oder er besucht nur ein paar alte Freunde.«
»Vor neunzehn Jahren war ich ungefähr zwanzig, Meli. Wenn also irgendwelche Engländer hier gelebt hätten, müsste ich es wissen. Es sei denn, er ist ein adoptiertes Kind und war damals vielleicht noch ein Kleinkind.«
»Nein, das passt nicht. Als er wegging, war er zehn. Könnte er der Lincoln Ross sein, den du kanntest? Vielleicht wurde er erst adoptiert und kehrte später zu seinen richtigen Eltern zurück. Das würde auch den anderen Nachnamen erklären.«
»Das Alter könnte stimmen. Aber wenn du dich wirklich für den Mann interessierst, Meli, dann solltest du beten, dass er nicht der Line Ross ist, den meine Brüder und ich damals kannten.«
Melissa sah ihn fragend an. »Aber warum denn?«
»Weil er dumm war wie Bohnenstroh, stur wie ein Bock und noch dazu rachsüchtig. So etwas gibt sich nicht mit den Jahren. Schlechte Eigenschaften verstärken sich sogar oft mit zunehmendem Alter. Er konnte eine Tracht Prügel, die er eindeutig verdient hatte, nie einfach wegstecken, kam ständig wieder und machte neuen Arger.«
»Womit hatte er sich denn die Prügel verdient?«
Ian seufzte. »Ein bisschen war vielleicht auch Dougi daran schuld. Er wollte unbedingt Lines Freund sein.
Konnte gar nicht genug von ihm bekommen. Sie waren in etwa gleich alt, musst du wissen. Und irgendwann mochten wir anderen Line dann auch ganz gerne. Aber er und Dougi waren geradezu unzertrennlich.«
»Und warum blieb das nicht so?«
»Eines Tages stritten sich die beiden und begannen eine Prügelei. Dougi hatte keine Chance. In den zwei Jahren, seit denen sie Freunde waren, war Line unglaublich gewachsen. Ein Fausthieb und Dougis Nase war gebrochen. Es war kein fairer Kampf und Line wusste das. Er hätte nicht damit anfangen sollen. Und es hätte ihn vor allem nicht überraschen sollen, dass ein paar von meinen Brüdern, die gerade zur Stelle waren, sich einmischten und den Kampf stellvertretend für Dougi beendeten. Immerhin kannte er uns inzwischen seit zwei Jahren. Mehr als einmal hatte er miterlebt, dass wer immer sich mit einem von uns anlegte, einen hohen Preis bezahlte.«
»Und dieser Line konnte die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen und sich geschlagen geben?«
»Nein, er fühlte sich ungerecht behandelt und wollte Revanche. Er bildete sich tatsächlich ein, er könnte es mit uns aufnehmen — mit uns allen. Kannst du dir ein solches Maß an Dummheit vorstellen? Oder an Verrücktheit?«
»Der Lincoln, von dem du
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