Verheißung des Glücks
Aber ich bin es nicht gewohnt, dass man mich warten lässt wie einen beliebigen Bittsteller. Ich nahm an, es handle sich um eine absichtliche Demütigung.«
»Ich war nicht hier. Ich kam eben erst nach Hause«, antwortete Lincoln. »Aber ich gehe wohl recht in der Annahme, dass ich diese etwas eigentümliche Begrüßung nicht allein Ihrer Ungeduld verdanke.«
»Sehr richtig. Die ungewohnt lange Wartezeit war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.« Nun klang Justin wieder steif.
»Sicher möchten Sie mir das näher erklären. Bitte treten Sie ein«, sagte Lincoln. Er ging in sein Arbeitszimmer und nahm hinter dem Schreibtisch Platz.
Justin folgte ihm, würdigte den Stuhl, den Lincoln ihm anbot, jedoch keines Blickes. Unruhig marschierte er hin und her. Sein Haar stand in alle Richtungen ab, so als hätte er es sich mit den Händen gerauft. Auf Lincoln wirkte der junge Mann wie eine gefährlich kurze Zündschnur, die nur auf einen Funken wartet. Er fragte sich, ob das nur die sprichwörtliche Ungeduld der Jugend war oder ob sein Besucher aus einem bestimmten Grund so aufgewühlt war. Sicher würde er es bald herausfinden.
Eine Weile ließ er Justin noch im Zimmer umherwandern, dann sagte er: »Nun sagen Sie's schon, Mann! Wenn Sie mich raten lassen wollen, was Sie hierher führt, sind wir morgen früh noch da.«
Justin baute sich vor dem Schreibtisch auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Er entschied sich für einen Frontalangriff. »Warum kommen Sie nicht mehr zu Melissa?«
Lincoln lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte nun ebenfalls die Arme. »Ich verstehe Ihre Frage nicht.«
»Sie verstehen mich nicht?«, wiederholte Justin drohend. »Ich habe Ihnen eine ganz einfache Frage gestellt. Direkter konnte ich sie wohl kaum formulieren!«
»Setzen Sie sich, St. James«, sagte Lincoln. »Vielleicht ist es besser, wenn Sie sich erst einmal beruhigen.«
Da war er bei Justin St. James, dem zukünftigen Duke von Wrothston, an der falschen Adresse. »Sie wollen mir also nicht antworten?«, knurrte er.
»Alles, was ich Ihnen sagen könnte, tragen Sie doch ohnehin auf dem schnellsten Weg zu den MacFearsons«, entgegnete Lincoln.
Auf Justins gerade noch so finsterem Gesicht erschien ein fragender Ausdruck. »Und warum sollte Meli nicht erfahren, worüber wir uns unterhalten?«
»Ich meinte gar nicht Melissa.«
»Aber wen denn sonst?«
»Melissas Onkel, natürlich.«
»Haben Sie etwas gegen Melissas Onkel?«
»Ich würde eher sagen, Melissas Onkel haben etwas gegen mich«, antwortete Lincoln kalt.
»Was soll das heißen?«
»Ihnen fallen offenbar ständig neue Fragen ein«, gab Lincoln trocken zurück.
»Ja, und ich bin hier, weil ich Antworten hören möchte.«
»Diesen Eindruck könnte man durchaus bekommen. Aber woher nehmen Sie das Recht, mich einem Verhör zu unterziehen?«, wollte Lincoln wissen.
Justin zählte die Gründe an seinen Fingern ab. »Weil ich Melis bester Freund bin. Weil die Art, wie sie mit ihr umspringen, mir nicht gefällt. Weil Sie verkündet haben, sie wollten um sie werben, und sich dann nie wieder blicken ließen. Weil Meli nicht weiß, ob sie Sie nun abschreiben soll oder nicht. Brauchen Sie noch weitere Gründe?«
»Nein. Offenbar sind Sie in Unkenntnis darüber, dass man mir auf ziemlich eindeutige Weise nahe gelegt hat, mich von Melissa fern zu halten.«
»Wie bitte? Wer verlangt so etwas von Ihnen?«
»Wer kommt denn Ihrer Ansicht nach für so etwas in Frage? Melissas Onkel können sehr überzeugend wirken, wenn sie in voller Zahl anrücken.«
Justins türkisfarbene Augen blitzten auf. »Melissas Onkel sind hier in London? Ich glaube nicht, dass Meli davon weiß. Bei uns im Haus wohnt nur einer von ihnen.«
Lincoln zuckte die Schultern. Wo diese Kerle wohnten, war ihm gleichgültig. Aber Justin hatte man allem Anschein nach nicht eingeweiht, als Melissas Familie Lincoln von der Liste der Heiratskandidaten gestrichen hatte. Was blieb, war die spannende Frage, ob Melissa davon wusste und Justin nur nichts gesagt hatte. Oder ahnte sie vielleicht gar nicht, dass ihre Onkel für sie entschieden, welcher Mann ihr den Hol machen durfte — oder auch nicht?
Lincoln konnte sich kaum vorstellen, dass die MacFearsons vor ihrem denkwürdigen Besuch in der Taverne nicht mit Melissa gesprochen hatten. Möglicherweise interessierte sie die Meinung ihrer Nichte in diesem Fall gar nicht besonders. Das traute Lincoln diesen Wilden ohne weiteres zu.
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