Verheißung des Glücks
musste ein Ende haben. So durfte sie sich nicht von ihren unberechenbaren Launen beherrschen lassen.
»Wo sollte ich denn sonst sein?«, fragte Melissa matt.
»Vielleicht zu Hause in Schottland? Ich war mir nicht sicher, weil ich dich seit dem Ball nicht mehr gesehen habe. Aber sag schon, wie entwickelt sich denn die Romanze?«
Die Tränen kamen auch für Melissa selbst völlig unerwartet. Dieser plötzliche Gefühlsausbruch überraschte und ärgerte sie. Justins Miene verriet echte Bestürzung. Sein entsetztes Gesicht sah aber wiederum so komisch aus, dass Melissa bald darüber lachen musste. Wurde sie nun langsam verrückt? Die Möglichkeit bestand durchaus.
Justin setzte sich neben Melissa und beäugte sie unsicher. Sie lächelte verlegen.
»Denk dir nichts dabei, Justin. Man nennt so etwas wohl typisch weibliche Gefühlsschwankungen.«
Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde Justin diese fadenscheinige Erklärung dankbar annehmen. Doch dann schnaubte er. »Unsinn! Und jetzt heraus damit! Was ist passiert?«
»Nichts.«
»Willst du mir etwa erzählen ...«
»Nein, ich meinte ... nichts. Kein Lebenszeichen. Seit dem Tag nach dem Ball ist Lincoln wie vom Erdboden verschluckt. Er sagte, er wolle um mich werben, mir den Hof machen. Aber dann ... Seither hat er mich nicht mehr besucht. Wenn er mich nicht geküsst hätte, müsste ich beinahe glauben, dass er das alles einfach nur so dahin gesagt hat. Ich müsste vielleicht sogar annehmen, dass für ihn alles nur ein Spiel war.«
Justin legte die Stirn in Falten und murmelte dann zögernd: »Ich sage es nur ungern, Meli, aber ein Kuss hat manchmal wenig mit echter Zuneigung zu tun.«
Sie machte eine abwehrende Geste mit der Hand. »Ich weiß genau, was du denkst. Aber es ist nicht so. Erst hat er mich geküsst. Dass er mir den Hof machen wollte, davon sprach er erst danach. Außerdem sagte er, er hätte dafür die Erlaubnis meines Vaters. Warum sollte er mit Dad sprechen, wenn er es nicht ernst meint?«
Justin nickte grinsend. »Da magst du Recht haben. Ich glaube kaum, dass irgendein Mann sich für nichts und wieder nichts in die Höhle des Löwen begibt und diesen Giganten bittet, um seine Tochter werben zu dürfen.«
»Das setzt natürlich voraus, dass er die Wahrheit gesagt hat«, murmelte Melissa leise. In letzter Zeit hatten sich diesbezüglich gewisse Befürchtungen in ihre Gedanken geschlichen.
Justin sprang wie elektrisiert auf die Füße und knurrte: »Dieser Bastard! Aber natürlich! Er will dich verführen und deshalb lügt er. Es passt alles zusammen. Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, weil er einen so untadeligen Eindruck machte. Aber ich habe gehört, er hat einige Freunde von recht ... nun ja, zweifelhaftem Ruf.«
»Ach, das hast du einfach so gehört?«
»Nun ja, ich habe ein paar Erkundigungen über ihn eingezogen. Jetzt schau mich nicht so an! Nur weil ein Mann einen Adelstitel hat, macht ihn das nicht gleich zu einer guten Partie. Du folgst nur deinen Gefühlen. Deshalb dachte ich, es könnte nicht schaden, wenn ich ein wenig mehr über deinen Lincoln erfahre. Immerhin kennen wir ihn kaum.«
»Und was soll das heißen, >Freunde von zweifelhaftem Ruf«
»Dritt-und viertgeborene Söhne angesehener Familien, denen es gleichgültig ist, wenn sie den guten Namen ihrer Väter in Verruf bringen, weil sie weder den Titel noch das Vermögen erben. Aber es ist wirklich halb so schlimm. Selbst hat Lincoln nie irgendwelche Dummheiten gemacht. Zumindest hat er nichts verbrochen, worüber es sich lohnen würde zu tratschen, sonst hätte ich es erfahren. Aber ein paar von seinen Freunden sind ziemlich wilde Burschen. >Lebemänner< oder auch >leichtsinnige Draufgänger« würde ich sie nennen, Meli. Natürlich würde ich niemals jemanden gleich teeren und federn, nur weil er gelegentlich mit solchen Leuten verkehrt. Außerdem sollte man im Zweifel immer von der Unschuld eines Menschen ausgehen. Schließlich ist schon so mancher junge Heißsporn zu einem angesehenen Mitglied der Gesellschaft herangereift. Aber wenn der gute Lord Cambuiy keine wirklich plausible Erklärung dafür vorbringen kann, dass er dir erst Hoffnungen macht und sich dann nicht mehr blicken lässt ...«
»Glaubst du, dafür gibt es wirklich einen guten Grund?«, unterbrach Melissa ihn. Vielleicht gab es ja doch einen Hoffnungsschimmer. »Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach. Aber alles, was mir bisher einfiel, stürzte wie ein Kartenhaus zusammen, als
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