Verheißung des Glücks
gewöhnt, grundlos Hiebe einzustecken. Um jedes Missverständnis auszuschließen, sagte Justin: »Ich komme gerade von Lord Cambury. Vielleicht hast du dir das schon gedacht. Es fiel mir schwer zu glauben, dass er grundlos das Interesse an Meli verloren hat. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie überrascht ich war, als ich erfuhr, was ihn davon abhält, ihr weiterhin den Hof zu machen.«
Ian nickte, schloss die Tür und trat ans Fenster, wo er außer Justins Reichweite war. Sein niedergeschlagener Gesichtsausdruck hatte nichts mit den Nachwirkungen des Fausthiebs zu tun.
»Hat er dir alles gesagt?«, fragte er.
»Ich habe kaum etwas aus ihm herausbekommen!«, knurrte Justin. »Deshalb bin ich ja hier. Du wirst mir jetzt ein paar Fragen beantworten. Warum macht ihr Meli solchen Kummer? Sie weiß ja nicht mal, dass deine Brüder hier in London sind!«
»Ich wollte ja mit ihr reden«, gab Ian kleinlaut zu. »Ich bekomme dieser Tage schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich sie nur ansehe.«
Was er hörte, besänftigte Justin keineswegs. Im Gegenteil, er hatte gute Lust, noch einmal zuzuschlagen. »Ihr seid richtige Bastarde, du und deine Brüder!«
»Ja, das stimmt.«
»Ich spreche nicht von euren Familienverhältnissen, du Ochse!«, sagte Justin ärgerlich.
»Ja, ich weiß.«
»Warum dann das Ganze?«, fragte Justin. »Ich will gar nicht wissen, warum ihr den Mann so hasst. Das ist mir völlig einerlei. Mich interessiert nur, warum ihr hinter Melissas Rücken ihren Verehrer vergrault.«
»Weil sie ein Dickschädel ist. Es ist ihr durchaus zuzutrauen, dass sie aus lauter Trotz mit ihm durchbrennt. Also nahmen wir lieber in Kauf, ihr ein bisschen Kummer zu bereiten.«
»Ein bisschen Kummer? Hast du in den letzten Tagen einmal mit ihr gesprochen? Und ganz abgesehen davon — wenn ihr euch eurer Sache so sicher seid, warum hast du dann jetzt ein schlechtes Gewissen?«
»Weil ich weiß, wie sehr sie leidet, auch wenn sie versucht, es nicht zu zeigen«, antwortete Ian. »Vergiss nicht, dass ich sie mindestens genauso gut kenne wie du. Und von uns Brüdern bin ich der Einzige, der Line gesehen hat, bevor er erfuhr, wer sie ist. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob wir richtig gehandelt haben. Wir gaben ihm nie eine Chance zu zeigen, was für ein Mensch aus ihm geworden ist.«
»Was uns nun wohl oder übel doch zu der Frage zurückbringt, warum ihr ihn so hasst.«
»Wir hassen ihn eigentlich gar nicht.« Ian seufzte.
»Wo liegt denn dann das Problem? Und sag jetzt nicht, er hat sich als Kind einmal eine Dummheit geleistet. Sonst verprügle ich dich wirklich.«
»Es geht nicht um eine einzelne Dummheit. Es geht mehr darum, was er aus der ganzen Sache machte.«
»Aus welcher ganzen Sache?«
»Er und Dougi waren unzertrennlich, bis Line dieser Freundschaft ein Ende setzte, indem er einen Kampf anfing, den Dougi unmöglich gewinnen konnte. Ein paar von meinen Brüdern verpassten Line deshalb eine Abreibung. Aber danach fing es erst richtig an. Er erklärte uns allen den Krieg.«
»Den Krieg?«, schnaubte Justin. »Das ist ein ziemlich gewichtiges Wort für einen Streit zwischen ein paar Lausebengeln.«
»Stimmt. Aber ich übertreibe nicht, das schwöre ich dir. Sobald Line wieder stehen konnte, kam er angerannt und ging erneut auf uns los. Immer und immer wieder. Einmal wollte er es mit neun von uns gleichzeitig aufnehmen.«
»Konntet ihr ihn nicht einfach links liegen lassen?«
»Wir haben es versucht. Aber es war unmöglich. Wenn wir ihn stehen ließen, rannte er uns nach und schlug einfach drauflos. Das beweist, dass er sich nicht im Griff hat. Er hatte keinen Grund, sich so aufzuführen. Der Kerl ist nicht ganz bei Trost. Darum müssen wir Meli auch unbedingt vor ihm schützen. Man sollte keinem Menschen seine Jugendsünden vorhalten, und schon gar keinen Fehler aus seiner Kindheit. Aber manche Charaktereigenschaften halten sich nun einmal hartnäckig. Und ein unberechenbares Temperament, das zu Wahnsinn, Hass und Wutausbrüchen neigt, gehört dazu.«
»Und wenn er sich nun doch geändert hat?«
»Hätten wir die Probe aufs Exempel machen sollen? Ihn vielleicht provozieren, um zu sehen, ob er noch immer sofort die Kontrolle über sich verliert?«, fragte Ian.
»Aber selbstverständlich. Ich an eurer Stelle hätte es getan.«
»Dann hast du noch keinen Gedanken an die möglichen Folgen verloren. Bei solchen Auseinandersetzungen kann es leicht Verletzte geben, sogar Schwerverletzte. Außerdem sind wir
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