Verheißungsvolle Küsse
die Vorstellung aller möglichen Szenarios vertieft, als Helena anhielt und zurückschaute. »Wir sollten die Pferde hier lassen. Weiter oben ist ein Tor, aber wenn wir die Gäule in die Obstgärten mitnehmen« - sie wies mit dem Kopf auf das Terrain, das sich vor ihnen erhob - »dann könnten die Wachen sie hören.«
Sebastian musterte aus zusammengekniffenen Augen die rastlosen Schatten, die sich eindeutig aufwärts bewegten und schließlich auf etwas trafen, das wie eine Gartenmauer aussah. Die Festung war zwar von der Straße her vor jeder Streitmacht, die aus dieser Richtung kam, gut geschützt - aber von diesem Winkel aus könnte es einen Zugang geben.
»Très bien« , murmelte er und ließ seinen Blick durch die Nacht schweifen. »Wir werden die Pferde hier lassen und zu Fuß weitergehen.«
Die Obstgartenmauer maß etwa acht Fuß Höhe, bestand aber aus groben Steinblöcken. Diese waren leicht zu besteigen, selbst für Helena mit ihren Röcken. Sie steckte die Säume in ihre Stiefel und erklomm die Mauer unter Sebastians wachsamen Augen; dann blieb sie oben sitzen, während er ihr rasch hinterherstieg. Er schwang seine Beine über den Rand und kletterte auf die andere Seite. Helena sah hinunter, schniefte, drehte sich um und hangelte sich vorsichtig abwärts.
Sebastian klaubte sie von der Wand, als sie erst halb unten war und stellte sie auf die Füße. Gnädig nickte sie zum Dank, klopfte den Staub von ihren Händen, deutete auf den Abhang des Obstgartens und marschierte los.
Er tigerte neben ihr her; sie huschten aus der Dunkelheit über freie Stellen in die gitterartigen Schatten, die der nächste Baum warf. Der Mond war noch nicht aufgegangen; es leuchtete lediglich das schwache Licht der Sterne, dem sie ausweichen mussten.
Bald erreichten sie die obere Grenze des Obstgartens und glitten in die dichten Schatten der nächsten Mauer. Diese stellte schon ein größeres Hindernis dar; über acht Fuß hoch und von perfekter Bauweise; jeder Block saß genau auf dem anderen, wodurch die Oberfläche glatt war und keinerlei Halt für Hände oder Füße bot. Sebastian musterte erst sie, dann Helena. Sie bedeutete ihm zu warten, während sie und Phillipe sich flüsternd berieten; schließlich wies sie nach links, drängte sich an ihm vorbei und schlich die Mauer entlang.
Sebastian folgte. Helena eilte im Schatten der Mauer dahin, bis er schätzte, dass sie jetzt direkt gegenüber dem Haupttor sein müssten. sie blieb stehen, sah zurück zu ihm, legte einen Finger an den Mund, drehte sich um und huschte weiter - ein paar Schritte brachten sie genau vor das schmiedeeiserne Tor.
Er blieb genau wie sie stehen, und sah zu dem Tor hoch. Es war so hoch wie die Mauer und mit Furcht erregenden Spitzen bewehrt. Er sah keine Möglichkeit darüberzusteigen, doch Helena winkte ihn zu sich. Sebastian stellte sich dicht neben sie, sie streckte die Hand aus und zog seinen Kopf herunter, damit sie flüstern konnte.
»Es ist abgesperrt, aber es gibt einen Schlüssel. Er hängt an einem Haken auf der anderen Seite der Mauer, etwa hier.« Sie ließ ihn los und deutete auf einen Fleck einen Fuß über dem Ansatz der Mauer, fast zwei Fuß entfernt vom Rahmen des Tores. Dann drückte sie sich wieder näher an ihn. »Kannst du ihn erreichen?«
Sebastian sah sie an und dann wieder die Stelle, die sie ihm gezeigt hatte. »Halte deine Hand drauf!« Er wandte sich dem Tor zu. Jetzt kniete er sich nieder, steckte den rechten Arm durch die Lücke, legte den Kopf an die Eisengitter und tastete sich, mit Blick auf Helenas Hand, zu der entsprechenden Stelle. Wenn er den Schlüssel nicht richtig zu fassen kriegte, ihn fallen ließ …
Seine Fingerspitzen berührten Metall und er hielt inne. Erstarrte. Dann tastete er sich, sehr vorsichtig, weiter, zeichnete den Umriss des Schlüssels nach, folgte der Schnur bis zu dem Nagel, an dem er hing. Er reckte sich weiter vor, steckte seine Finger durch die Schnur, schüttelte sie ein wenig.
Zog seinen Arm heraus und sah hinunter auf den schweren Schlüssel in seiner Hand.
Bevor er reagieren konnte, hatte Helena ihn gepackt. Er fing sie ein, als sie an ihm vorbeirennen wollte und zog sie an sich.
»Die Wachen?«
Sie drehte sich zu ihm, flüsterte: »Das ist der Küchengarten - hier schauen sie nicht so oft nach, früh am Abend und noch einmal kurz vor dem Morgengrauen.«
Er nickte, ließ sie los. Stand auf und klopfte sich den Staub von den Knien, während sie langsam den sperrigen Schlüssel
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