Verhext in Texas: Roman (German Edition)
Traumtypen nennen würde, denn dabei denkt man gemeinhin an große und muskelbepackte Männer. Owen hingegen war nicht besonders groß und eher schmal, aber trotzdem muskulös. Zumindest nahm ich das an. Abgesehen von dem einen Mal, als ich seine verletzte Schulter verbunden hatte, hatte ich ihn noch nie ohne Hemd gesehen. Aber wenn er mich in den Arm nahm oder in der U-Bahn stützte, spürte ich unter seinen Kleidern recht solide Muskeln. Passend zu diesem Körper hatte er das Gesicht einer Skulptur, mit kantigem Kinn und kräftigen Wangenknochen.
Was ich Sherri jedoch sehr wohl vorwerfen konnte, war, dass sie offen mit ihm flirtete, obwohl sie mit meinem Bruder verheiratet war. Zum Glück stand Owen kein bisschen auf Frauen wie Sherri – ein weiterer Grund, weshalb ich ihn so mochte. Er trat fast unmerklich einen Schritt zurück und warf ihr einen Blick zu, den er normalerweise für unappetitliche Dinge auf dem Gehweg reserviert hatte. »Sherri, das ist mein Freund Owen aus New York«, sagte ich steif. »Owen, das ist meine Schwägerin. Sie ist mit meinem mittleren Bruder Dean verheiratet und arbeitet auch hier.«
Bevor sie sich ihm richtiggehend an den Hals schmeißen konnte, kam Teddy aus dem hinteren Teil des Ladens nach vorne gerannt und schwenkte ein Blatt Papier. »Ich hab die Formel gefunden!«, brüllte er. »Doppeltes Wachstum, aber kein Unkraut! Ist Dad da? Das wird er sehen wollen!« Und damit verschwand er.
»Das war Teddy«, erklärte ich Owen, »mein jüngster Bruder. Egal, was passiert, frag ihn niemals nach Düngemitteln oder wie man grüneres Gras bekommt, wie man seinen Ernteertrag verbessert oder was man am besten anbaut. Das meine ich ernst.«
Owen nickte leicht verstört. In dem Moment tauchte Molly auf, die einen schreienden Davy hinter sich herschleppte. »Ist Frank da? Er muss mir Davy für eine Weile abnehmen.«
»Soweit ich weiß, liefert er gerade aus.« Wohlweislich bot ich nicht an, auf meinen Neffen aufzupassen, auch wenn es sicher interessant gewesen wäre zu sehen, was Owen mit ihm anfangen konnte. Er hatte Drachen gezähmt, also konnte ein ungezogenes Vorschulkind ja wohl nicht so viel schwieriger sein.
Da bemerkte sie Owen. »Oh, Entschuldigung, störe ich gerade? Ich sollte hier nicht so reinplatzen, wenn du Kundschaft hast.«
Pflichtschuldigst machte ich sie miteinander bekannt. Sherri näherte sich Owen und fragte: »Und wie lange bleiben Sie in der Stadt?« Noch bevor er antworten konnte, betrat George Ward den Laden, und Sherri machte sich an ihn ran. Mr Ward war etwas älter und außerdem verheiratet, aber dafür reich. Diese Eigenschaft machte ihn in Sherris Augen besonders wertvoll. Sie wusste es nicht, aber Owen wog George Ward gleich mehrfach auf, und ich hatte nicht vor, ihr das mitzuteilen, denn sonst hätte sie Owen womöglich eins übergebraten und ihn in ihren Bau verschleppt.
»Ich frage mal nach, ob Beth auf Davy aufpassen kann«, bot Molly an. »Sie und Teddy haben ein gutes Händchen für ihn. Nett, sie kennenzulernen, Owen.«
Owen wirkte leicht benommen. »Kannst du mir vielleicht mit einem Stammbaum aushelfen?«, fragte er leise.
»Ich zeichne dir einen.«
Unsere kurze Ruhepause endete, als Mom auftauchte. Jetzt wurde es richtig spannend. Mir war nicht ganz klar, was sie im Laden wollte, wo sie sich doch eigentlich erholen sollte, aber sie hatte eine Art Radar für interessante oder peinliche Vorkommnisse im Leben ihrer Kinder. Sie hielt geradewegs auf uns zu, als hätte sie schon gewusst, dass Owen hier war.
Dann stutzte sie und tat überrascht. Der Auftritt war derart überzeugend, dass er wohl kaum ungeplant sein konnte. »Oh!«, rief sie, als sie Owen sah. »Meine Güte! Katie, willst du mir deinen Freund nicht vorstellen?«
Wenn ich ihn nicht schon mit dem Rest der Familie bekannt gemacht hätte, hätte ich vielleicht versucht, ihn als Kunden auszugeben und aus dem Laden zu bugsieren. Doch stattdessen biss ich die Zähne zusammen und wiederholte meine Standard-Vorstellung. Owen verfügte zwar nicht über Rods natürlichen (und manchmal übernatürlichen) Charme, aber er war genau der adrette und höfliche Typ, auf den Mütter einfach stehen. »Freut mich, Mrs Chandler«, sagte er.
Sie wurde tatsächlich ein bisschen rot. Das musste das erste Mal sein, denn ich hatte bisher immer angenommen, dass ihr nichts peinlich war. Jedenfalls benahm sie sich in unserer Gegenwart immer so, als wüsste sie nicht mal im Ansatz, was Peinlichkeit war.
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