Verhext: Roman (German Edition)
sind.«
»Sie meinen, dass sie eine Hexe ist.«
»Ja. Sie hätten die ganze Sache heute noch viel schwerer für sie machen können, viel schwerer erträglich. Freunde, die einen akzeptieren, selbst wenn sich auf einen Schlag alles verändert, sind Gold wert. Es scheint, als wüssten Sie das beide.«
Nat lächelte. »Wir haben uns am ersten Tag im College kennengelernt. Wir hatten dasselbe Zimmer, und ich glaube, wir haben nur ungefähr fünf Minuten gebraucht, um eine Freundschaft fürs Leben zu schließen. Nachdem wir unseren Abschluss in der Tasche hatten, wollte ich ein Yoga-Studio eröffnen. Meine Familie war total dagegen. Es entsprach nicht dem Bild. Eine Smythe sollte etwas anderes mit ihrer Zeit anfangen.«
»Wirklich?« In seinen Visionen hatte er nichts von Nats Familie gesehen. Vielleicht war das kein Zufall. »Was sollten Sie denn ihrer Meinung nach tun?«
»Das ist eine lange Geschichte. Wie dem auch sei, als ich einundzwanzig wurde, zwei Monate nach unserem Abschluss, bekam ich eine kleine Erbschaft ausgezahlt. Ich habe den Mietvertrag für diese Räume hier unterschrieben
und einen Handwerker mit den Renovierungsarbeiten beauftragt. Offenbar hat mein Vater versucht, die notwendigen Genehmigungen zu verhindern. Vermutlich hätte er damit sogar Erfolg gehabt, aber Lauren bekam durch einen Freund in ihrer neuen Agentur Wind davon. Als sie meinem Vater mit sehr unerfreulicher Publicity drohte, gab er auf. Ich habe das alles erst vor zwei Jahren erfahren, und nicht von Lauren.«
Jamie sah Nat an, während sie sprach, und versuchte das arme kleine reiche Mädchen, das sie beschrieb, mit der Frau in Einklang zu bringen, die in seinen Visionen Schneemänner baute und in den frühen Morgenstunden lachte.
Seine eigene Familie war groß, chaotisch und streitlustig. Aber dass einer von ihnen ernsthaft versuchen würde, seine Pläne zu vereiteln, war undenkbar.
»Sie brauchen kein Mitleid mit mir zu haben«, setzte Nat fort. »Ich führe das Leben, das ich liebe. Das war nicht immer so, doch alles, was vorher war, hat mich hierhergeführt.«
»Laurens Leben hat gerade eine ziemlich verrückte Wendung genommen. Ist das okay für Sie?«
»Laurens Leben war auch bisher nicht langweilig.« Nat nippte an ihrem Tee und überlegte einen Moment, bevor sie ihm eine ernsthaftere Antwort gab. »Manchmal weiß man, dass man den Rest seines Lebens mit jemandem verbringen wird. Einem Partner, einem Kind, einem Freund. Im Laufe eines Lebens passieren immer wieder Überraschungen – das muss auch so sein. Wenn Lauren eine Hexe ist, dann bin ich eben jetzt die Freundin einer Hexe.«
Sie würde zu ihr halten. Jamie fragte sich, wie eine Frau mit so unmöglichen Eltern gelernt haben konnte, so zu lieben. Ein guter Zeitpunkt, um herauszufinden, ob in ihrem Herzen noch Platz für eine weitere Person war.
»Und nehmen Sie es auch mit zwei Hexenfreunden auf?« Er wollte noch hinzufügen, dass es dann leichter für Lauren wäre, hielt dann aber doch den Mund. Jetzt wollte er nur über Nat und Jamie reden. Nur Nat und Jamie.
Langsam verzog Nat das Gesicht zu einem Lächeln. »Wenn Sie mein Freund sein wollen, müssen Sie mir sagen, was Sie gesehen haben. Es scheint mir nicht fair zu sein, dass Sie mehr über meine Zukunft wissen als ich.«
Nun, damit kamen sie direkt zu dem heiklen Punkt: Jamie wusste immer noch nicht, wie viel er ihr sagen sollte. »Sie müssen wissen, dass diese Visionen absolut nicht verlässlich sind. Manchmal zeigen sie die Zukunft, manchmal nur Möglichkeiten. Außerdem sind sie gänzlich offen für Interpretationen – Visionen sind nicht immer wortwörtlich zu nehmen.«
Nat legte das Gesicht in Falten. »Sie mögen ihre Präkog-Fähigkeit wohl nicht besonders?«
»Ganz und gar nicht. In die Zukunft sehen zu können hört sich nur so lange cool an, bis man den ersten Zwei-Sekunden-Flash hat und keine Ahnung, was das Ganze bedeutet und ob es wirklich geschehen wird.«
»Dann haben Sie nur ein paar Sekunden meiner Zukunft gesehen?«
»Nein. Das war keine gewöhnliche Präkog-Episode.« Jamie hielt inne. Sie hatte ein Recht, es zu erfahren, doch vielleicht wäre es einfacher, es ihr zu zeigen. Wenn er es
ihr erklären musste, würde er vor Verlegenheit im Boden versinken.
»Ich kann Ihnen zeigen, was ich gesehen habe. Visionen hinterlassen einen tiefen Abdruck. Das ist so, als hätte ich ein Band davon, das ich für Sie abspielen kann. Aber Sie müssen dafür offen sein. Meine Mentalkräfte
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