Verhext: Roman (German Edition)

einer Yoga-Klasse.
    Sie stand auf. Bei Anfängern war es am besten, einfach zu beginnen und dann zu schauen, wie es lief.
    So wie man es ihr gesagt hatte, visualisierte sie die ersten Bewegungen vor ihrem inneren Auge, bevor sie begann. Ohne Worte  – ihre Klasse sollte die Bilder in ihrem Kopf sehen. Knie beugen, Arme heben, einatmen. Streck dich nach dem wunderschönen blauen Himmel und spüre die Wärme. Ausatmen, Arme senken und Hände zum Herzen. Das Gleiche noch mal.
    Jennie und Lauren folgten ohne Mühe. Aervyn kicherte. Nat schickte ihm einen beruhigenden Gedanken, von dem sie hoffte, dass er ihn hörte. Spüre die Freude, mein Lieber, aber in deinem Körper. Beweg dich im Rhythmus deines Atems . Das Grinsen, mit dem er ihr antwortete, traf sie wie ein Schlag in die Magengrube, so sehr ähnelte es dem des Kindes in Jamies Vision.
    Ganz hinten machte Jamie die Bewegungen mit resignierter Miene. Armer Kerl  – Yoga war ganz offensichtlich nicht sein Ding. Noch nicht.
    Nat ging zu einem einfachen Sonnengruß über, indem sie die Bewegungen nacheinander visualisierte. Jennie und Lauren hielten mit ihr mit. Aervyn schlug sich so gut,
wie es von einem kleinen Jungen zu erwarten war. Jamie hatte Mühe.
    Nat wünschte sich inständig, er würde verstehen, wie viel ihr diese Bewegungen bedeuteten. Sie glitt in die Positionen und wieder hinaus und ließ ihren Geist singen. Körper gedehnt und geschmeidig, Geist ruhig. Energie, die von der Sonne zur Erde strömte, durch ihre ausgestreckten Finger. Füße fest auf der Erde, Kopf leicht, Herz heiter.
    Jetzt hatte sie ihn. Jamie hatte vergessen, dass er eigentlich schmollte, und ging tatsächlich mit recht ansehnlichen, fließenden Bewegungen von einer Haltung in die nächste. Und wichtiger noch: Er spürte den Fluss. Das war es, was ihr am Herzen lag. Jennies Gedanke glitt sanft zu ihr. Gut gemacht, mein Kind .
    Zeit für eine größere Herausforderung. Nat ging zu einer komplexeren Variation des Sonnengrußes über. Jennie folgte ihr ohne Schwierigkeiten, aber Lauren wurde unsicher, als Nat andere Bewegungsabläufe einflocht als sonst in ihrem Unterricht. Nat konzentrierte sich darauf, jede Position deutlich zu visualisieren, bevor sie sie ausführte, woraufhin Lauren wieder sicherer wurde.
    Aervyn war einfach niedlich anzusehen und kein schlechter kleiner Yogi. Die fließenden Bewegungen machten ihm sichtlich Spaß, auch wenn die meisten Positionen ihm nicht gefielen.
    Jamie sah sie nur an. Du bist so schön . Der Rest der Klasse kam durcheinander, als Nats Übermittlung der Positionen abbrach.
    Jamie, hör auf, Nat abzulenken , hörte sie Tante Jennies
amüsierte mentale Stimme. So einfach kannst du dich den Übungen nicht entziehen .
    Zehn Jahre Yoga-Erfahrungen ermöglichten es Nat, sich erneut zu stabilisieren. Automatisch nahm sie einige Standpositionen ein. Die waren offensichtlich für die anderen einfacher aus ihrem Geist zu lesen. Jetzt war es Zeit für das zweite Level von Jennies Anweisungen.
    Sie visualisierte die Positionen und ging dabei zwischen ihren Schülern umher. Ohne ihren Bewegungen folgen zu können, mussten sich die Mentalhexen nun ganz auf ihre Kräfte verlassen. Aervyn bereitete das nicht mehr Schwierigkeiten als vorher, aber den anderen zufolge war er ja auch ein talentierter kleiner Hexer.
    Auch Jennie stellte sich gut an, doch sie brauchte länger, um in die Haltungen zu kommen. Sie las Nats Anweisungen so genau wie Aervyn, aber offenbar nicht so schnell.
    Lauren fand entweder schnell und einfach in die nächste Position oder musste darauf warten, dass jemand anderes es ihr vormachte. Faszinierend, dachte Nat. Anscheinend hatte Lauren durchaus die Fähigkeit, ihre Anweisungen zu verstehen, versagte aber hin und wieder komplett.
    Jamie, der arme Kerl, war völlig von der Rolle  – der Beweis, dass seine Mentalmagie tatsächlich ziemlich schwach war.
    Am besten, sie kam zum Schluss. Nats Sinn für Humor meldete sich, und sie visualisierte vorsichtig Eka Pada Koundinyasana, eine höllisch schwierige Position, bei der man im Spagat und mit seitlich gedrehtem Körper auf den Händen balancierte.
    Aervyn fiel kichernd zu Boden. Lauren streckte ihr angesichts ihrer langjährigen Freundschaft einfach die Zunge raus. Jennie schüttelte den Kopf und sagte laut: »Vielleicht vor zehn Jahren, meine Liebe, aber heute würde ich mir dabei vermutlich die Nase brechen.«
    Jamie guckte skeptisch und warf Nat einen herausfordernden Blick zu. Sie