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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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der
anderen Seite des großen freien Platzes, den Wendell bei sich
immer den ›Paradeplatz‹ genannt hatte, leuchteten die
erhellten Fenster der Bundeshalle herüber. Jetzt waren sie alle
dort drinnen, beteten und lasen aus der Bibel. Aber dort opferten sie
keine Tiere, das machten sie am anderen Ende der Siedlung, in einer
geschützten Mulde im Gelände, die die Streiter zu einem
Amphitheater ausgebaut hatten, in dessen Mittelpunkt der Steinaltar
stand.
    Es war ein komisches Gefühl, wieder hier zu sein. Hier drin.
Auf dem Boden, den er einst für heilig gehalten hatte.
    »Hier lang«, flüsterte er, obwohl Grady ohnedies
wußte, in welche Richtung sie gehen mußten, und Charlie
wie immer bloß hinter Grady herlaufen würde. Aber Wendell
mußte einfach etwas sagen; irgend was, zu irgend wem.
    Er führte sie über die kleine Straße zwischen den
Bungalows hindurch, die eigentlich bloß mickrige Hütten
waren, kalt im Winter und heiß im Sommer. Aber die Streiter
legten keinen großen Wert auf die weltlichen Dinge. Wie hatte
er es hier bloß zwei Jahre lang aushalten können? Wie
hatte er bloß seine Kinder hier leben lassen können?
    Der Bungalow, in dem Saralinda und er gewohnt hatten, stand nicht
mehr da.
    Die ganze Reihe von Hütten, die unmittelbar an den Eingang zu
den unterirdischen Höhlen angegrenzt hatten, war abgerissen
worden. An ihrer Stelle stand ein großes flaches Gebäude,
in dem etliche Fenster erleuchtet waren. Es gab kein Schild, das
verraten hätte, worum es sich bei dem Gebäude handelte.
Wozu auch? In der Siedlung würde es ohnedies jeder wissen.
    Wo, zum Henker, waren Saralinda und die Kinder?
    Charlie glitt lautlos an eines der Fenster heran und lugte von der
Seite hinein. »Sieht aus wie ein Krankenhaus oder so was
ähnliches. Betten und so ’n Beutel an ’ner
Stange.«
    »Für Bluttransfusionen?« Wendell stieß
Charlie zur Seite. Aber natürlich war es kein Blut; eine klare
Flüssigkeit rann aus dem Beutel an der Stange in die Vene eines
Kindes, das schlafend im Bett lag. Es war eine Krankenstation. Die
Streiter mußten einen Arzt aufgetrieben haben, der damit
einverstanden war, kein Blut zu verabreichen. Das hatte Saralinda nie
erwähnt.
    Und der Arzt mußte den Streitern beigetreten sein, denn
sonst hätte er sich nicht auf dem Anwesen aufhalten
dürfen.
    Einen aufwühlenden Moment lang dachte Wendell, das Kind im
Bett war Penny, aber klarerweise war sie es nicht. So gut behandelte
einen das Leben nicht.
    Grady flüsterte: »Also wo, glaubst du, sind
sie?«
    »Weiß ich nicht. Sehen wir uns die Bungalows
an.«
    »Alle?«
    »Die meisten sind sowieso finster, oder?« fuhr Wendell
ihn an. »Schauen wir einfach dort zum Fenster rein, wo es
drinnen hell ist. Ihr habt das Bild ja angesehen, ihr wißt, wie
Saralinda aussieht.«
    »Klar«, nickte Charlie, »flotter
Käfer.«
    »Dann trennen wir uns besser«, sagte Grady hastig.
»Wenn einer sie findet, macht er noch gar nichts. Wir treffen
uns in fünfzehn Minuten hier wieder.«
    Fünfzehn Minuten war länger, als Wendell vorgehabt
hatte, sich überhaupt in der Siedlung aufzuhalten, aber er sah
auch keine andere Möglichkeit. Schon allein das Hiersein jagte
ihm Schauer über den Rücken, aber unter den Schauern konnte
er immer noch seine Entschlossenheit spüren, unbeirrbar und
hartnäckig. Es waren seine Kinder. Und seine Frau.
Und wer das anders sah, konnte seinetwegen tot umfallen.
    Die drei Männer glitten durch die finsteren Gassen wie
schwarze Schatten. Unmittelbar bevor Charlie hinter der Ecke des
Gebäudes verschwand, fiel Wendell ein Lichtschein ins Auge, der
sich an Charlies Ingram brach.
    Im ersten erhellten Bungalow saß ein alter Mann schlafend in
einem Sessel am Holzofen, eine karierte Decke über den
Knien.
    Im zweiten waren die Vorhänge zugezogen, und Wendell konnte
nicht hineinsehen. Er kniff die Augen zusammen und öffnete sie
sogleich wieder, nur um seinen Atem wie eine Wolke in der Luft
hängen zu sehen. Es juckte ihn, das Fenster einzuschlagen, es
einzuschießen, zu machen, daß der dicke Vorhang sich
genauso in Luft auflöste, wie alles andere in seinem Leben sich
in Luft aufgelöst hatte. Aber das passierte nie dann, wenn man
es wollte.
    Saralinda, bist du da drinnen?
    Er suchte ein kleines Steinchen, warf es gegen die
Eingangstür und zog sich augenblicklich ans Ende des Bungalows
zurück, dorthin, wo es ganz dunkel war.
    Die Tür öffnete sich, und eine Frau beugte sich heraus.
»Ist jemand da?« Eine große, breite

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