Verico Target
halbwegs warm zu haben. Und er hatte nichts getan,
außer das Kommen und Gehen zu beobachten. Er hatte jetzt viel
Zeit zum Beobachten, denn durch das schlechte Wetter war nicht viel
los im Baubetrieb. Aber die einzigen Leute, die das Gelände
betraten, waren Leute, die es ein paar Stunden zuvor verlassen
hatten. Kein einziger davon konnte von der Bundespolizei kommen.
Wendell hieb mit der Faust auf den wackligen Couchtisch. Niemand hörte auf ihn, verdammt noch mal! Und Penny und David
waren da drinnen, während alle diese Sachen vor sich
gingen…
Während was vor sich ging? Irgend etwas. Irgend etwas ganz,
ganz Furchtbares.
Das letzte Mal, als er Saralinda gesehen hatte, wie sie am Tor
wartete, daß er die Kinder zurückbrachte, war sie ihm noch
dünner, zarter und blasser vorgekommen als je zuvor. Teufel, sie
hatte kaum die Kraft gehabt für ein Lächeln!
David hatte sich an Wendells Hals gehängt. Er wollte nicht
hineingehen. Kleine Kinder wußten so was instinktiv,
nicht wahr? Irgendein sechster Sinn. Die wußten genau, wenn ein
Ort schlecht für sie war.
»Du mußt ruhiger werden, Wendell«, hatte sein
Bürge beim Mittwochtreffen der Anonymen Alkoholiker gesagt.
»Du bist bis obenhin voll mit aufgestauter Wut!«
Er konnte immer noch spüren, wie Davids warme kleine Finger
Papis Nacken umklammerten. Wie warm so Kinderhände doch waren!
Und der Geruch von Davids weichem Haar und Pennys kleines
Lächeln…
»Du mußt ruhiger werden, Wendell!«
Er warf sich in einen Sessel. Die Fernbedienung fiel von der
Armstütze in seinen Schoß, und er schaltete das Gerät
ein. Manchmal ließ er das Programm einfach über sich
hinwegschwappen – Familienserien, Nachrichten, Talkshows und
Kriminalfilme, Zeichentrickfilme und Wiederholungen von Sachen wie
›Bonanza‹, die er zum erstenmal gesehen hatte, als er in
Pennys Alter war. Das waren die tröstlichsten.
»Du bist aufgezogen wie ein Uhrwerk, Wendell«, hatte
Lewis ihn gewarnt. »In solchen Situationen beginnen die Leute
wieder zu trinken!«
Nein. Er nicht. Nicht jetzt, wo er doch seine Kinder wieder hatte.
Bloß hatte er sie nicht wieder…
Und niemand wollte verstehen, wie schwer das war. Niemand war
gewillt, ihm zu helfen. Niemand.
Auf dem Bildschirm rollte der Nachspann irgendeines
Schwarzweißfilmes ab. Wendell hatte keine Ahnung, was für
einer es gewesen war, obwohl er gerade die letzten zehn Minuten davon
gesehen hatte. Süßliche Musik aus den vierziger Jahren
wogte auf; Blüten rankten sich um die Namen der Schauspieler.
Die Werbung folgte.
Die Augen erhebe ich zu den Hügeln, von denen mir Hilfe
zuteil ward. Ja. Klar. Aber da ward keine Hilfe. Verdammt, keiner
half ihm!
Jetzt glitt die Kamera über ein Publikum hinweg, das heftig
applaudierte – weswegen? Die Kamera schwenkte zu einem
Wohnzimmer von der Sorte, in der weiße Sofas standen, die nie
dreckig wurden, und in der die Blumen auf dem niedrigen Couchtisch so
standen, daß sie die Beine der Weiber nicht verdeckten. Die
Talkmasterin einer Show und zwei ihrer Gäste grinsten wie
Hyänen. Wendell kannte die Show nicht. War ein lokales Programm,
nichts Bundesweites. Kam vermutlich aus Albany.
Es ist ein Programm, das dir helfen kann, Wendell. Arbeite es
durch. Tag für Tag. Richtig.
Jetzt stand die Showmasterin im Publikum, ein Mikrophon in der
Hand. Die Leute fuchtelten wie wild mit den Händen durch die
Luft, um aufgerufen zu werden.
Der Herr hilft jenen, die sich selbst helfen.
Ein Mann stand neben der Talkmasterin und strahlte, als hätte
er gerade in der Lotterie gewonnen. Alle lachten. Die Talkmasterin
dankte ihm hübsch artig und trug ihr Mikrophon zu jemand
anderem.
»… un’ nie im Leben hätt ich das alles geerbt,
wenn ich nich’ meinen beiden Schwestern die Hölle
heiß gemacht…«
»Und damit wollen Sie uns – was sagen?«
unterbrach ihn die Gastgeberin. »Was müssen wir tun, um
unsere künftigen Erbschaften vor fremdem Zugriff zu
schützen?«
»Du brauchst ’nen guten, ’nen wirklich guten
Anwalt«, sagte der Gast. »Allein hat man keine Chance beim
Nachlaßgericht.«
Du brauchst ’ne wirklich gute Talkshow, bei der du
auftreten kannst.
Die Worte schienen von irgendwo außerhalb Wendells Kopf zu
kommen. Fast als hätte irgend jemand sie laut ausgesprochen. Er
sprang auf und sah sich in dem schmuddeligen Zimmer um. Nichts
derartiges war ihm widerfahren, seit er draußen war. Drinnen
schon, damals. Da hatte er sogar mal eine ekstatische Rede gehalten,
was so
Weitere Kostenlose Bücher