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Verico Target

Verico Target

Titel: Verico Target Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Tod; der einzige Verwandte ein
Bruder – Halbbruder? – weit weg. Kein frei
zugängliches Leichenbegängnis, vielleicht sogar eine
Einäscherung. Jemand, den keiner vermissen würde. Aber
warte mal… vielleicht hatte ihn doch jemand vermißt? Warum
sonst überhaupt eine Zeitungsanzeige? Warum nicht Ramon Morreale
einfach in den Kalksteinhöhlen unter der Siedlung verschwinden
lassen?
    Aber irgend etwas paßte hier nicht ganz.
    Wendell tippte die Nummer ein; er kannte sie auswendig.
    »Streiter des göttlichen Bundes! Der Herr segne deinen
Tag.«
    Wendell biß die Zähne zusammen. »Hier spricht
Kriminalinspektor John Miller von der Polizeistation Cadillac. Ich
hätte gern Mister Newell gesprochen.« Siralinda hatte
gesagt, daß der alte Newell immer noch eines von den
aufgeblasenen höchsten Tieren im Ältestenrat war.
    Die Männerstimme wurde zurückhaltender. »Darf ich
fragen, worum es sich handelt?«
    Das brachte Wendell einen Augenblick lang aus dem Takt. Zu seiner
Zeit hatten die Streiter nicht so geredet; keiner von ihnen hatte je
wie dieser Typ geklungen: zurückhaltend, argwöhnisch –
und jeden Moment bereit aufzulegen.
    »Es handelt sich um den Fall Ramon Morreale.«
    »Ich dachte, Inspektor Paxon bearbeitet diesen
Fall.«
    Wendell schmiß den Hörer hin. Also interessierte sich
tatsächlich jemand für diesen plötzlichen Tod!
    Die Nummer der hiesigen Polizeistation stand auf dem Moteltelefon,
gleich unter der Feuerwehr und dem Rettungsdienst.
    »Polizeistation Cadillac«, sagte eine Frauenstimme.
    »Können Sie mich bitte mit Inspektor Paxon
verbinden?«
    »Inspektor Paxon ist vorübergehend nicht im Haus. Kann
ich Ihnen weiterhelfen?«
    »Okay. Ich bin ein früherer Nachbar von Ramon Morreale.
Ich habe schon mit Inspektor Paxon gesprochen und möchte wissen,
wie die Sache jetzt weitergeht.«
    »Darüber kann Ihnen nur Inspektor Paxon persönlich
Auskunft geben«, sagte die Stimme. Die hielt eisern dicht, die
Kleine.
    »Wann wird er zurückkommen?«
    »Vielleicht nachmittags.«
    »Was hat denn die Obduktion ergeben?«
    »Das müssen Sie schon Inspektor Paxon persönlich
fragen.« Und sie legte auf. Sie hatte nicht gesagt, daß
eine Obduktion durchgeführt wurde – aber sie hatte auch
nicht gesagt, daß keine durchgeführt wurde. Was
hatte das zu bedeuten?
    Hastig durchblätterte Wendell die Zeitung auf der Suche nach
der Seite mit den Polizeiberichten. Ein gestohlener Wagen, eine
Rauferei in einem Lokal, ein Einbruch, dreimal Trunkenheit und
Widerstand gegen die Staatsgewalt… keine Festnahme wegen
Mordverdachts. Außerdem – hätte man einen
Mordverdächtigen im Bezirk, wäre die Story überall auf
der Titelseite, nicht nur im Cadillac Register. Sie wäre
sogar in der Albany Times-Union erschienen.
    Also war bei der Obduktion nichts rausgekommen. Falls es
überhaupt eine gegeben hatte! Aber bei einer Opferung wurde die
Kehle durchschnitten – man hielt den Kopf des Tieres weit nach
hinten und schlitzte ihm mit einer frisch geschärften Klinge den
Hals auf… Wendell hatte schon zugesehen. Es war die einzige
Gelegenheit, bei der die Streiter zuließen, daß Blut
floß. Sie würden ihre Kinder zwar lieber an irgendeiner
schrecklichen Krankheit sterben lassen, ehe sie erlaubten, daß
ein Arzt ihnen eine Bluttransfusion gab, und sie würden
vermutlich lieber selbst sterben, ehe ihnen ein Steak oder selbst ein
mickriges Hühnchen zwischen die Zähne kam, aber einem
Murmeltier oder einem quiekenden Karnickel schlitzten sie jederzeit
die Kehle auf und ließen das Blut fließen zur
höheren Ehre Gottes. Und das Geräusch, das die Tiere in
ihrer Todesangst hervorquetschten, wenn das Messer in sie eindrang
– wenn man das einmal gehört hatte, vergaß man’s
nie wieder.
    Wendell rollte die Zeitung zusammen und schleuderte sie in die
Zimmerecke, wo sich bereits ein Stapel Kartons von der Pizzeria
›Domino‹ befand. Als die Zeitung landete, fiel der Stapel
um.
    Auf Wendells Postkarten war keinerlei Reaktion erfolgt, und
niemand war gekommen, um sich den Verein einmal näher anzusehen. Niemand! Weder der Präsident noch der Justizminister
hatte jemanden geschickt, ebensowenig wie das FBI, der Kongreß
oder auch nur die verdammte Zentrale Meldestelle für
Kindesmißbrauch und Kindesmißhandlung. Wendell
wußte, daß niemand gekommen war, denn er hatte jeden
freien Moment vor dem Tor der Siedlung verbracht, frierend in seinem
Laster, dessen Motor er jeweils zehn Minuten pro Stunde laufen
ließ, um es

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