Verico Target
Minuten?
Großartig. Ich hätte gern eine Fahrkarte, Hin- und
Rückfahrt; Rückfahrt am Samstag mit einem
Vormittagszug.« Sie gab ihren Namen und die Kreditkartennummer
durch und rief dann beim einzigen Taxiunternehmen von Natick an. Eine
halbe Stunde, um zu duschen und sich anzukleiden, eine halbe Stunde
für die Fahrt nach Boston, mit jemand anderem am Lenkrad. Da
blieben noch fünfzehn Minuten übrig.
»Tut mir leid, Madam, aber die Wartezeit für ein Taxi
beträgt mindestens eine Stunde. Wir haben einen Haufen
Reservierungen, die alle vor Ihnen drankommen.«
»Aber ich versäume meinen Zug!«
»Tut mir leid, Madam.«
»Hören Sie, ich zahle die doppelte
Gebühr!«
»Tut mir leid«, sagte die Stimme, und jetzt klang sie
beleidigt. Aber die Leute, die in der Zentrale saßen und die
Anrufe entgegennahmen, hatten ja auch nichts von einem unverhofften
Füllhorn, das sich über einen ihrer Fahrer ausgoß.
Daran hätte sie denken sollen.
Und die Taxis aus Boston würden noch länger brauchen
– falls sie überhaupt eines bekam.
»Mein Name ist Doktor Kozinski«, sagte Judy und
bemühte sich, sowohl sachlich als auch beeindruckend zu klingen,
»vom Whitehead-Institut für biologische Forschungen am
M.I.T. Es ist ganz außerordentlich wichtig, daß ich heute
rechtzeitig zu einer internationalen Wissenschaftlertagung ins Hotel
St. Moritz in New York komme. Es ist mir klar, daß Sie
Reservierungen haben, die vor der meinen an die Reihe kommen, aber
wenn ich diesen Zug versäume, dann muß mein Vortrag zu
einem völlig neuen Termin noch mal angesetzt werden.«
»Also…«
»Ich wäre Ihnen zu allergrößtem Dank
verpflichtet. Kollegen aus dem ganzen Land sind nach New York
geflogen, um mein Referat zu hören, denn es beschreibt einen
neuen Weg, wie gentechnisch veränderte Viren über
rezeptorenspezifische Hüllproteine in ausgewählte
Krankheitszellen eindringen können.« Deck die Leute mit
einem Wortschwall ein.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Also ich denke, ich könnte vielleicht… Also gut,
in zwanzig Minuten habe ich einen Wagen für Sie.«
»Oh, vielen Dank! Sie wissen gar nicht, was für einen
enormen Gefallen Sie mir damit getan haben. Wirklich.«
»Ich bin ein großer Fan der Wissenschaft. Haben Sie den
Film Die Körperfresser kommen gesehen?«
»Äääh«, sagte Judy. Alles hatte seinen
Preis.
Ihr Köfferchen lag halb gepackt auf dem Stuhl. Sie warf noch
eine Bluse hinein, zog das Nachthemd über den Kopf und erblickte
sich nackt im Spiegel der Frisierkommode. Sie hielt inne.
Unter der Kommode lagen ein paar Dutzend Bällchen aus
Staubfasern. Judy tastete sich durch und stieß auf die ebenso
staubige Digitalwaage.
Vierundfünfzig Kilogramm.
Die Waage mußte kaputt sein. Soviel konnte sie nicht
abgenommen haben! Es stimmte, daß alle ihre Kleider schlaff an
ihr herabhingen, aber sie waren auch Größe
sechsundvierzig… Vierundfünfzig?
Sie drehte sich hierhin und dahin und betrachtete ihren nackten
Körper im Spiegel. Prima Hüften, beinahe flacher Bauch.
Runde, mittelgroße Brüste über einem schmalen
Brustkorb. Traurig lächelte Judy. Ben hätte gefallen, wie
sie jetzt aussah. Jetzt sah sie gerade so aus wie die Frauen, die er
immer bewundert hatte.
Im hintersten Winkel des Kleiderschranks im Gästezimmer
fanden sich diesmal eine Hose aus Wollstoff und eine blaue
Seidenbluse in einer Größe, die Judy seit zehn Jahren
nicht mehr trug. Sie zog die Sachen an, und alles paßte
perfekt. Sie stand vor dem Spiegel, sah sich mit ernster Miene an und
strich sich mit den Händen über die schlanken Hüften.
Am liebsten hätte sie laut aufgelacht. Geweint. Geflucht. Sich
vor Ben produziert. Sich vor irgend jemandem produziert. Nein. Nie
wieder.
Von den zwanzig Minuten bis zur Ankunft des Taxis hatte sie
bereits acht vergeudet.
Aber sie konnte es immer noch schaffen. Fünf Minuten für
die Dusche, fünf Minuten, um sich anzukleiden und ihr Make-up in
den Koffer zu werfen. Sie konnte sich im Taxi mit dem Kamm durch die
Haare fahren und Lippenstift auftragen. Kein Problem.
Sie seifte sich ein, duschte sich ab und klappte die
Fiberglastür auf, um nach dem Badetuch zu greifen. Ein Mann mit
einer Skimaske über dem Gesicht stand in ihrem Badezimmer und
zielte mit einer Waffe auf sie.
»Das würde ich lassen«, sagte er ruhig.
»Setzen Sie sich bitte in die Wanne.«
Judy schrie auf und schickte sich an, aus der Wanne zu steigen. Er
packte sie fest an der nackten Schulter und fügte ihrem
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