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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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einer frühern
Phase ihres Erdenlebens? Gibt’s also eine Wiederkunft
des gleichen? Oder aber war’s nur eine zufällige Ähnlichkeit,
und das Heimweh nach einer jahrhundertfernen Welt und die
Sehnsucht nach der längst Verlorenen hüllen mich in einen
wohltätigen Trug? Immer wieder forschte ich in ihren Zügen,
ob sie wohl dieselbe wäre, suchte ich in ihren Worten eine Lösung
jenes Rätsels zu entdecken.
    Es wurde gesagt: »Es wandelt niemand ungestraft unter
Palmen, und die Gesinnungen ändern sich gewiß in einemLande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind.« Noch weniger
aber wandelt man ungestraft in einer fernen Zeit, und
wenn die Tropenreisenden von einem »Tropenkoller« erzählen,
so könnte ich von einem »Zeitenkoller« sprechen: der
Sinn für Wirklichkeit verschwindet. Oft zweifelte ich dran,
daß ich noch ich sei, Erasmus Büttgemeister, und wähnte,
meine Seele sei in einen andern Leib gefahren. Oft spielte ich
mit dem Gedanken, was ich hier angetroffen, das sei ja gar
nicht das Deutschland des siebzehnten Jahrhunderts, das sei
eine der zahllosen Permutationen, irgendwo im Weltraume,
vielleicht auf einem fremden Stern.
    Bisweilen sprach ich andeutend, prüfend von ehemals — ich
sage ehemals und meine das zwanzigste Jahrhundert —, und
da glaubte ich in Agathes Zügen etwas wie fernes, dämmerndes
Erinnern zu erkennen. Und oftmals wiederum, wenn ich
von der Gegenwart, von meinen Plänen sprach, war ihre Antwort
Schweigen, fremdes Staunen. Zuzeiten, mitten im Gespräch,
hielt sie versonnen inne und hob den Kopf, als horche
sie auf eine ferne Stimme, oder sie wendete den Blick halb
rückwärts, irgendwo nach einer Hecke, einer Mauernische,
als sei dort plötzlich jemand aufgetaucht und trete auf sie zu.
Was war es, wer war es, dem diese Erwartung galt?
    Ich ging mit ihr im Walde, und der Widerschein der Blätter
tauchte ihr Gesicht in grünes Dunkel. In grünem Glanze,
nixenhaft, strahlten ihre Augen aus dem meeresbleichen Antlitz.
Und wiederum, wie schon so oft, erfüllte mich mit süßer
Trauer, erschreckend und berückend, die Vorstellung: In
Meerestiefen bin ich hinabgelangt, in nie betretene Gefilde,
vom Ozean der Zeit längst überflutet, in die versunkne Stadt
am Meeresgrunde. Meerwasser ist die grüne Helle in der
Runde, Meerblumen sind die Birkenstämme, und rings um
mich sind Nixen, Meereswunder. Ist sie nicht eine Nixe, die
Gefährtin meiner Wanderung, wird sie mir nicht entgleiten,
wenn ich ihr Geheimnis lüfte, wie Melusine, unstillbare Sehnsucht
hinterlassend?
    Ach, wie ich sie umfing, wie ich in ihre Arme stürzte, mitwelch verzweiflungsvoller Inbrunst ich in ihrem Fleische
wühlte, als könnte ich in ihrem Leibe das Geheimnis ihrer
Seele schlürfen.
    Doch fort mit diesen düsteren Gedanken. Wenn ich mit ihr
durch die sommerliche Landschaft schreite, da durchbraust es
mich mit heißer Kraft: Mein ist sie, und ich liebe sie. Und vor
mir, wie diese Landschaft weit und strahlend, liegt das Feld
der Möglichkeiten. Köstlich ist’s zu leben! Köstlich sind die
Abenteuer, denen ich entgegengehe! Köstlich ist die Ungewißheit!
    Dort, wo am Horizonte der Rauch aufsteigt, vor Nürnberg,
kaum einen Tagmarsch weit, dort stehen sie einander
gegenüber, die beiden größten Feldherrn dieser Zeit, der
Schwedenkönig und der Wallenstein, und warten, wem von
ihnen ich zum Sieg verhelfe.
Vierzigstes Kapitel
    S ie haben Konradin begraben. Als ich seinem Sarge folgte,
mußte ich zu meinem noch wunden Schmerze auch die
Schmach erleben, daß sie meinen Kummer für geheuchelt
hielten und daß sich rings um mich böswilliges Geraun erhob,
ich habe seinen Tod auf dem Gewissen, er sei ein Opfer meiner
schwarzen Kunst. —
    Nun bin ich wiederum in meiner altgewohnten Stube im
Hause meines Ahnherrn. Nur für so lange, bis mein Häuschen
draußen neuerlich in Stand gesetzt und eingerichtet ist.
    Ich lese. Die alten Volksbücher, gedruckt auf grobem, fleckigem
Papier mit ungefügen Lettern: die Historia von Dr. Johannes
Fausten, »dem weit beschreyten Zauberer und
Schwartzkünstler, wie er sich gegen den Teufel auff benandtezeit
verschrieben«, vom Ewigen Juden, von den vier Haimonskindern,
Wigalois, von der schönen Magelone, Flos und
Blankflos, und wie sie alle heißen mögen.
    Stille ringsumher. Nur ab und zu erschauern drunten in
dem Garten die Wipfel unter einem leisen Windhauch, und
durch das offne Fenster dringt Blütenduft und Vogelzwitschern.
    Welch wundersame Stimmung, wehmütig und doch

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