Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
Vom Netzwerk:
brüderlich verstehend und doch
auch befremdet ruhte er auf mir. Ein bleiches Antlitz, fein und
gütig. Das Antlitz eines Dulders, eines Priesters und Gelehrten.
Welch ein Trost, unter diesen johlenden Barbaren ein solches
Angesicht zu sehen.
    Ich näherte mich ihm, aber die Menge schob sich zwischen
uns, und bald entschwand mir im Gedränge sein schwarzes
Priesterkleid.
    Man machte Platz; denn es erschien der Oberst eines samländischen
Regiments, ein schöner, hochgewachsener Mann,
im breitkrempigen weißen Federhut, um die Schultern den
ziegelroten Reitermantel malerisch drapiert.
    Er trat zu den Ratsherren, begrüßte sie mit prunkvoll abgemessener
Grandezza und bat um Pardon für einen Kornett
aus seinem Regimente. Der hatte im Rausche einem Mädchen,
weil es ihm nicht zu Willen war, den Pallasch in die
Brust gerannt und war darum gefänglich eingezogen worden.
    Die Ratsherren zogen krause Mienen und schüttelten die
Köpfe. Sosehr sie den Valor des Herrn Obristers ästimierten,
aber Strafe müsse sein, und Abschreckung tue not, denn der
Übermut und die Vanigloriosität der Soldateska turbiere bisweilen
gar arg die friedlichen Bürger.
    Aber der Oberst blieb beharrlich. Dem Reiter, so sagte er,
sitze nun einmal der Pallasch locker in der Scheide, sonst
tauge er nicht viel im Felde. Der Kornett sei sonst ein handsamer
Soldat und habe seine unbedachte Tat schon vielfältig bereut.
Der Oberst verwies auf die Verdienste, die sich sein Regiment
um den Schutz der Stadt erworben, und auf die Nähe
seiner königlichen Würde, des heldenhaften Gustav Adolf,
der, selbst voll Milde, solch einen Actus der Klemenz gnädig
vermerken würde. Nun hätten die Herren, indem sie jene vier
Missetäter dem Henker überlieferten, gezeigt, daß sie wohl
verstunden, Strenge walten zu lassen. Um so herrlicher würde
ihre Gnade leuchten, wenn sie seinen Kornett von der verdienten
Strafe loszählten.
    Alles das brachte der Oberst in seinem gebrochenen Schwedisch-Deutsch
halb würdevoll, halb spaßhaft vor. Auch war er
so schön und stattlich anzusehen, daß die Ratsherren endlich
beschlossen, den Kornett freizulassen.
    Drei Richtersprüche. Und einer überbot den andern an Unsinn
und an Ungerechtigkeit. Die arme Frau muß qualvoll
sterben, weil sie mordete, um ihre Kinder vor dem Hungertod
zu schützen. Die drei Juden müssen den Martertod erleiden,bloß weil sie Juden sind. Aber der freche Wüstling, der sein
Opfer umbringt, weil es ihm nicht willens ist, der wird begnadigt.
    O menschliche Gerechtigkeit.
Einundvierzigstes Kapitel
    D ie Menge hatte sich schon längst verzogen. Einsam murmelte
der Brunnen, nur Katzen und ein paar verliebte Pärchen
strichen noch umher. Und ich stand noch immer da und
wartete. Worauf? Daß sich all dies als Trug erweise? Auf mein
Erwachen? Auf ein Wunder?
    Nun rüttelt es mich auf: Ich stehe da und warte, wo es doch
gilt, zu handeln! Denn morgen in der Frühe ist die Hinrichtung.
Aber die vier Unglücklichen dürfen nicht sterben, diesen
Martertod nicht sterben!
    Rasch gehe ich nach Hause, um Matthäus Büttgemeister
zur Hilfe zu bewegen. Aber er ist nicht daheim.
    Nun fällt mir’s ein: zu Altmannstetter, dem Justitiarius. Der
ist allmächtig.
    Atemlos haste ich durch das enge Winkelwerk der Gassen,
bis ich vor sein Haus gelange. Aus dem Fenster schimmert
Licht. Gott sei Dank, er ist zu Hause.
    Ich verweile einen Augenblick aufatmend und starre auf
den kunstvoll geschmiedeten Türklopfer.
    Im Hausflur drinnen riecht es seltsam traulich nach gesperrter
Luft und Holzwerk. Irgendein verlorenes Erinnern
steigt in mir auf. Hab’ ich mich nicht einst als Knabe beim
Spiel mit meinen Kameraden hier im Flur versteckt? Aber das
ist es nicht. Irgendein Bild, ein Duft, ein Ton . . . Ich weiß es
nicht . . . Ach, wann werde ich erwachen?
    Die Magd führte mich in eine geräumige Stube, die zum
guten Teil von einem mächtigen, schön gekachelten Ofen
ausgefüllt war. Ein paar verdrossene Familienbilder an denWänden verschwammen in dem ungewissen Licht des späten
Tages.
    Altmannstetter begrüßte mich, und während er der Magd
befahl, Wein zu kredenzen, schlug er Stahl und Stein und entflammte
die Kerzen an dem kupfergeschmiedeten Hängeleuchter.
Behaglicher Lichtschein erstrahlte und vereinigte die
braune Wandverkleidung, die dunkel abgetönten Bilder, den
schweren Teppich und die hell bemalten Ofenfliesen zu einem
farbensatten, kunstvoll abgestimmten Bilde.
    Und wie prächtig paßte er zu dem Gemälde, der

Weitere Kostenlose Bücher