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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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hochwohledelgeborene,
gestrenge Christoph Altmannstetter, mit seinem
pelzverbrämten, dunkeln Rock, der goldnen Ehrenkette
und dem würdevoll verkniffenen Gesicht.
    Wie das Stilleben eines holländischen Meisters lag’s vor mir,
und einen Augenblick durchzuckte es mich glückhaft: Sieh
doch, was du einst an alten Bildern entzückt betrachtetest, das
darfst du jetzt als Wirklichkeit genießen. Und da willst du
noch klagen?
    Aber der Ernst der Stunde drängte. Ich trug ihm mein Anliegen
vor, und er hörte zu. Mit der Linken kraulte er die
Katze, die sich an seinem Beine schnurrend rieb, und mit der
Rechten hielt er den feingeschliffenen Pokal vors Licht. Das
eine Auge zugekniffen; ich wußte nicht, war’s, weil das Farbenspiel
ihn blendete, oder war es das prüfende Mißtrauen
gegen mein Vorbringen.
    Ich suchte ihm darzulegen, daß die Starschödel ihre unheilvolle
Tat im Hungerwahn verübt und daß nicht die Juden,
sondern Bazillen die Brunnen vergiftet hätten. Und gegen die
unmenschliche Härte der Strafen führte ich an, was jedes
Kind aus meiner Zeit zu sagen gewußt hätte. Er hörte zu mit
jener Würde, wie sie nur der Beschränktheit eigen ist, wortlos,
verständnislos.
    Das zwanzigste Jahrhundert sprach zum siebzehnten. Wie
konnte sich der Sprecher verständlich machen, wie der Hörer
ihn verstehen? Eher hätte ich einem Pavian Isoldens Liebestod
vorsingen können.
    Als ich geendigt, erwiderte er trocken, das Urteil sei gesprochen
nach Recht und nach Gesetz. Selbst die vier armen
Sünder hätten sich dreingefunden, jedwedes Schandieren 2 ) und Rebellieren dawider sei vergeblich und verboten. Ich
möge meine Hand von Dingen lassen, die ich offensichtlich
nicht verstünde. Sonst geriete ich noch in Verdacht, daß ich
Malefizverbrechen fomentiere 3 ) . »Und« — schloß er mit
einem queren Blicke — »man spargieret 4 ) über Euch gar
mancherlei.«
    »Wenn Ihr das unvernünftige Tier hier karessieret« — sagte
ich bitter und wies auf die Katze, die er streichelte —, »dann
solltet Ihr Euch wohl auch der leidenden Menschen erbarmen.«
    Doch bei seinem kalten Achselzucken besann ich mich und
versuchte es auf andre Weise. Ich zog meinen blanken, silbernen
Taschenstift hervor und ließ ihn vor ihm spielen. Staunen,
Neugier und Begehrlichkeit mischten sich in seinen Blicken.
Das Spielzeug versprach ich ihm, wenn er die vier Unglücklichen
retten wollte.
    Nun war der Handel abgeschlossen: Er versprach mir’s in
die Hand, daß er die Begnadigung der vier Verurteilten bewirken
werde.
    Halb schaudernd, halb belustigt sagte ich zu mir: Wie ein
Weißer unter Wilden. Wie einer, der für ein paar Glaskugeln
einen Elefantenzahn einhandelt. Wirklich kein übler Tausch:
für ein Spielding vier Menschenleben. Wartet nur, ich will mit
euch noch weitere Geschäfte machen. Was werdet ihr mir erst
für meine Flugzeuge und Ferngeschütze geben?
    2)   Mäkeln.
    3)   begünstige.
    4)   streut aus, spricht herum.
Zweiundvierzigstes Kapitel
    B öse Träume schreckten mich, und am frühen Morgen erwachte
ich durch ungewohnten Lärm. Er kam von der Straße
her, wie von einer großen Menge. Mich durchzuckte eine
böse Ahnung. Da trat auch schon Matthäus Büttgemeister ein
und fragte mich, ob ich nicht mitkommen wolle, mir’s anzusehen;
jetzt führe man die vier Verurteilten zur Hinrichtung.
    So hielt er Wort, der Schurke Altmannstetter?
    Rasch war ich auf der Straße und hatte ihn bald erreicht,
wie er hoch zu Roß dem Zuge der Verurteilten voranritt. Als
ich wutbebend auf ihn zutrat, herrschte er mich an:
    »Was wollt Ihr denn? Wartet erst ab, dann remonstrieret.
Der Henker hat gemessene Befelch, die Strafe erst nach vorgängiger
Zuziehung des Stranges zu exekutieren, so daß den
Kondemnierten weitere Qual Leibes und der Seele erspart
bleibt. Ist das nicht genug der Gnade? Ich habe Euch versprochen,
daß die vier begnadigt werden, doch nicht, daß sie am
Leben bleiben. Darum gebe ich Euch den guten Rat« — er rief
es mir noch nach, als ich mich verächtlich von ihm wendete —,
»seid nicht weiter malkontent und rebellantisch!«
    Nun folgte ich, in stummer Wut, erfüllt vom Mitleid und
von bittrem Wehgefühl, dem jammervollen Zug, wie er sich
vors Stadttor schleppte, hinaus zum Rabenstein.
    Auf allen Seiten eine große Menge Volkes, einige nachdenklich,
stumm betrachtend, die meisten lachend, naschend,
schwatzend. Und inmitten eines Piketts von Spießknechten
die vier Verurteilten. Totenbleich, die Glieder verkrümmt

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