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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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Aus den
schwarzen Fenstern, aus den düstern Häusermassen starrt
mich ungeheure Fremdheit an. Welche Rachepläne reifen
jetzt hinter diesen Mauern gegen mich?
    Düstere Gedanken umkreisten mich wie ein Gespenstertanz
in Nebelschwaden, indes ich tief gebeugten Hauptes weiterschritt.
    Wenn es einen Ahasverus gibt, der verurteilt ist zu wandern
bis zum jüngsten Tage, dann gibt es auch Ihn, der jenes Urteil
sprach, dann lebt der Gott, von dem die Bibel kündet. Ein eifervoller
Gott, ein Gott der Rache? Der Allerbarmer? Oder
die ewige Kraft, der alles gleich ist, Wahrheit, Irrtum, Gut
und Böse; die »Summe der Gleichungen«, beständig, unabänderlich
und unerweichlich?
    Ich blieb stehen. Ohne es zu merken, war ich vor dem
Hause Büttgemeisters angelangt. Die Tür zum Garten war
halb offen. Verloren in mein Sinnen, trat ich ein.
    Wenn es also einen Gott gibt, dann hat Konradin recht behalten.
Alles muß so kommen, wie es »in Gottes Rat beschlossen«,
und die Weltgeschichte der nächsten drei Jahrhundertewird so verlaufen, wie es überliefert ist. Und ich will dem Rad
der Weltgeschichte in die Speichen fallen!
    Von mir aber ist nichts überliefert, meinen Namen meldet
»kein Lied, kein Heldenbuch«. Also versunken und vergessen,
spurlos verschwunden, nie gewesen! Das ist die Unsterblichkeit,
die ich mir erhoffte!
    Des Traumes muß ich mich erinnern, den ich in der ersten
Nacht des neuen Lebens träumte, als ich versank in mystischen
Gewässern, als das Haupt des Juden drohend über mir
erschien und ich um Hilfe rief, grenzenlos verlassen, hilflos
einsam in einer unbekannten Welt. Nicht umsonst sagt man:
Träume der ersten Nacht bedeuten Wahrheit. Nun ist mir
seine Wahrheit klar.
    Und des Fluches muß ich mich erinnern, den der Jude über
mich gesprochen: »Wie ich im Raume friedlos irre, so mögest
du dich in der Wüstenei der Zeit verlieren, heimatlos und namenlos
und hoffnungslos!« Ja, ich gleiche einem Wanderer,
der wähnt, er habe die Wüste schon durchmessen, und schaudernd
sieht, daß er im Kreise ging.
    Vox clamantis in deserto! Ach, wie soll mein Schrei die
Wüstenei durchdringen? Wie kann ein Ton von meiner Klage
den Ozean der Zeit durchtönen? Wie kann ich Kunde von
mir geben?
    Irren Blicks sah ich empor. Zu den Wolken, die am schwarzen
Himmel jagten. Sah auf zu ihnen, als wollt’ ich sie zu meinen
Boten ausersehen. »Eilende Wolken! Segler der Lüfte!
Grüßet mir freundlich mein Jugendland!« Und mußte
schmerzvoll lächeln. Welch schwermütiges Gleichnis: Die
Wolke, die im Windeshauch vergeht, sie soll die Kunde meines
Erdenwallens fernen Geschlechtern übermitteln!
    Wie kann ich Kunde von mir geben?
    Angstvoll, hilfesuchend umklammerte ich einen Baumstamm.
Meine Linde ist’s, die treue Freundin meiner Jugend,
die einzig treue in drei Jahrhunderten. Wie unverhoffter
Freundesgruß in bittrer Einsamkeit, so neigte sich zu mir ihr
Wipfel.
    In mir sprach es traumhaft, kindlich: Meine Maschinen
sind zerstört, mein Werk ist hin, und alles fluchbeladne Menschenwerk
vergeht. Aber die unschuldvolle Pflanze bleibt bestehn,
wird weiter grünen, weiter blühen, sie wird Kunde von
mir bringen.
    Und mit zärtlicher Gebärde, wie ein verliebter Knabe,
kerbte ich in die zarte Rinde die Anfangsbuchstaben meines
Namens.
    Kaum getan, stieg eine Vision aus meiner Kindheit in mir
auf: Die Linde hier erkletterte ich — damals ein hoher Stamm
mit mächtig breitem Wipfel —, erkannte die verwachsenen
Buchstaben, und in entrücktem Dämmer sah ich mich selbst,
so wie ich jetzt hier stehe, in alter, fremdartiger Tracht, einsam,
verzweifelnd.
    Das also ist die Kunde, die ich gebe, das ist alles, was
von mir verbleibt: ein Nachtgesicht, das meine eignen
Kinderträume ängstigt. Wiederum der schaudervolle Kreislauf!
    Alles sinnlos, spurlos und vergeblich! Vor mir eisige Nacht
und hoffnungslose Öde und hinter mir das grauenhafte Wunder.
    Als riefe ich die unschuldige Kreatur zu Hilfe, so schmiegte
ich mich an den Baum und weinte einsame, bittre Tränen, wie
ein verirrtes Kind. Weinte, als gelte es, den schlafenden
Schöpfer zu erwecken, als sollten meine Tränen bis zum Himmel
dringen und dort vor seinem Richterstuhle Klage führen.
Achtundvierzigstes Kapitel
    A ber die Gefahr erweckte mich aus der Versunkenheit. Ich
habe keine Zeit mehr zu verlieren! In wenig Stunden graut
der Tag, und sie werden mich ergreifen. Sie werden den Tod
des Bürgermeisters an mir rächen, sie werden mich des Mordes
an Agathe bezichtigen. Der einzige

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