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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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mir
eilends folgten. Doch ich entkam, und als ich endlich in einem
dunkeln Gäßchen keuchend stehenblieb, da ballte ich, dem
Rathaus zugekehrt, die Fäuste und lachte laut und zornig.
    Das war einmal ein Gleichnis, welches stimmt! Nirgend daheim,
zwischen dem Himmel und der Erde schwebend, so
muß ich ihre Affenpossen ansehn. Ein Schrecken bin ich ihnen,
und sie sind mir zum Ekel. Immer allein, gemieden, unverstanden!
In zwei Jahrhunderten!
    Daß sie sich ihre Mäuler nicht verrenken mit diesem widerlichen
Schwulst! Fehlt nur noch, daß sie sich wie die Hottentotten
mit den Nasenspitzen küssen. Sind das Deutsche? Ist
das mein Vaterland? Verlohnt sich’s, über dieses Volk zu
herrschen? Lieber unter Wilden!
    Und so wie heute wird es weitergehen noch viele Jahrzehnte
lang! Da werden sie Lobenstein bewundern und Hoffmannswalden,
werden die »Adriatische Banise« lesen, das
»blutige doch mutige Pegu« und wie er sonst noch heißen
möge, der lächerliche Schund. Und noch sechzehn Jahre
Krieg, Scheiterhaufen, Finsternis und Barbarei!
    All das weiß ich, seh’ ich kommen. Das also ist der Preis,
den ich für mein Wunder zu bezahlen habe: daß mir die wohltätige
Unkenntnis der Zukunft versagt bleibt, daß ich gleich
Cassandra alles Unheil kommen sehen muß.
    Werde ich es ändern können? Werden sie nicht ihre Glaubenskriege
statt mit Musketen und Kartaunen mit Flugzeugen
— und Ferngeschützen weiterführen? . . .
    Und was ist das mit Agathe? Soll ich sie, kaum gefunden,
wiederum verlieren? Wäre es ein Wunder, wenn sie sich von
mir, dem Düstern, dem Heimatlosen, Unbekannten, abwendete
und dem frohgemuten, reichen Ratsherrn folgte?
    Einsam, unbekannt und unverstanden!
    Ja, einer , der hat mich verstanden, der hat mir auch geholfen.
Und der war ein Verfluchter, und der hat mich verflucht.
    Fast überkam es mich wie Sehnsucht nach ihm, dem Juden.
Sechsundvierzigstes Kapitel
    S trahlend heiter war die Sonne, und der Himmel war ein unaussprechlich
tiefes Blau.
    Strahlend war auch meine Hoffnungsfreude. Die Nachtgedanken
waren wie zerstoben. Warum auch nicht? Es ist die
Art weit ausschauender Charaktere, daß sie das Glück im Unglück
und im Glück das Unglück vorweg erleben. Meine
Kräfte hatten mich verlassen, weil ich ihrer gar nicht mehr bedurfte.
Denn heute muß die große Wendung kommen.
    Agathe hatte versprochen, mich zu besuchen. Zum erstenmal
als Gast in meinem Hause. Da sollte sie Zeugin meines
Triumphes werden. Und nachher — so hatte ich mir’s vorgenommen
— wollte ich um ihre Hand anhalten, damit uns nun
nichts mehr auf Erden trennen könne. Die Braut durch drei
Jahrhunderte!
    Die Nachricht von meinen Vorführungen hatte sich herumgesprochen.
Drum zogen sie, als es Dämmerung wurde, in
hellen Scharen die Landstraße herauf, um das ungewohnte
Schauspiel aus der Nähe zu betrachten.
    Was ich ihnen zeigen wollte, war einfach genug. Ein paar
rote, gelbe, blaue Glühbirnen, aus denen ich die Worte »Vivat
Gustavus Adolfus« und »Vivat libertas Germanica« gebildet
hatte und die beim Einbruche der Dunkelheit aufflammen
sollten; ein kleiner Eindecker, auf dem ich ein paar Schleifenin der Luft beschreiben, und das Telefon, womit ich zum Rathaus
sprechen wollte, wo Magistrat und Bürgermeister versammelt
waren.
    Da standen sie nun unten auf der Straße, dicht gedrängt,
und warteten in froher Neugier. So wie sie vor ein paar Tagen
auf die Hinrichtung der vier gewartet hatten. So wie sie auch
meine Hinrichtung erwarten würden . . .
    Auch Agathe war da. Oben bei mir, in meiner Stube.
Stumm, in ihren Augen war seltsames Leuchten.
    Jetzt war es vollends dunkel. Vom Rathaus stieg eine
Leuchtkugel auf und gab damit das Zeichen zum Beginn.
    Nun flammten meine Lichter auf. Vieltausendstimmig ertönten
Rufe des Entzückens, und alles erstrahlte in einem jähen,
buntfarbigen Licht; unwirklich, zauberhaft.
    Wieder war mir’s, als wandle ich in Ozeantiefen, wie ein
Taucher, der die nie betretenen Gefilde des Meergrundes mit
seinem Blitzlicht absucht, so daß von allen Seiten die Meeresungeheuer
herbeigeschwommen kommen.
    Wieder starrten sie zu mir empor, in dankbarem Entzücken,
wie damals, als ich in der Stube Geige spielte und sie unten
auf der Gasse horchten und emporblickten, »gleichsam
von einem unsichtbaren Licht geblendet«. Ach, wie es wärmt
und stärkt, hervorzuragen aus dem kalten Dunkel, den andern
Freude bringen, gefeiert werden!
    Und doch mischte sich in dieses Hochgefühl etwas wie
Scham: Womit ich

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