Verirrt in den Zeiten
»Fort von mir, höllischer
Zauberer, verfluchter! . . . Früher, wann Ihr von Maschinen
spracht und von Euren Plänen, hielt ich’s für Narrieren, und
wenn sie in der Stadt Euch einen Hexenmeister nannten, ich
achtete nicht drauf. Aber jetzo seh’ ich ja mit meinen eignen
Augen, daß Ihr schwarze Künste treibet. Und statt daß Ihr
Euch durch Gottes sichtbarlichen Zorn bekehren lasset, seid
Ihr noch insolent und spottet.
Ach, auch mich habt Ihr behext. Wie hätte ich Euch denn
sonst so willenlos in Liebe verfallen können? Warum nur? Die
Ähnlichkeit?« Sie schlug die Hände vors Gesicht und
schluchzte. »In der Unehre habt Ihr mich erobert. Ein Kind
trag’ ich von Euch unterm Herzen, einen Strauchbalg, gezeugt
unter Hecken und Bäumen. Und bin doch — bei den
teuern Wunden unsres Heilands — des Matthäus Büttgemeisters
Braut. Ihm bin ich feierlich versprochen. Dem Matthäus,
der doch, wie Ihr saget, Euer eigner Ahnherr ist! Ach, wie
werde ich da nur bestehn? Ach, daß sich Gottes Liebe mein’
erbarme! Einem Höllenkünstler hab’ ich mich verschrieben,
einem Revenanten, der aus fernen Zeiten wiederkommen ist.
Nun trifft mich Gottes Fluch. Gleich Euch!«
So klagte sie, so schluchzte sie. Es war, als ob es ihr das
Herz aufrisse und in hilflos banger Klage sein Blut verströme.
Alle Süßigkeit der Liebe, das kurze, heiße Glück, das wir genossen,
und alle Fremdheit, alle Ungemeinschaft, die uns
trennte, schmerzliches Gedenken und Verzweiflung, all dies
brach aus in ihrem Schluchzen.
Horch, was war da draußen? Schritte tönten, schwere,
müde Wanderschritte. Und von dem nächtig-düstern Himmel,
von Blitz und Donner gespensterhaft umrahmt, erschien
ein Haupt im Fenster. Eisengraue Lo . . .
Agathe blickt nach mir, blickt nach dem Haupte. Entsetztes
Ahnen, jähes Erkennen weitet ihre Augen, und sie ergreift das
Messer, das da verhängnisvoll im Wege liegt, und schluchzend
stößt sie sich’s ins Herz.
Wortlos, wie gelähmt, versteinert, starrte ich nach dem
Blutstrom, worin ihr Lebensatem rasch versickerte, starrte
nach dem Haupt am Fenster.
Ich sah ihn deutlich, ich erkannte ihn. Da war kein Zweifel:
es war der Jude, der mich einst verfluchte, der Ewige, der
Ahasverus.
Auch er blickte mich an aus seinen eiseskalten, unergründlich
dunkeln Augen, Augen wie erstorbne Lavagluten, und
aus seinem Blicke sprach es wie Erkennen, wie Verleugnen.
Hilfesuchend streckte ich nach ihm die Hände. Doch er
wandte sich, und mir schien es, als lächle er in grausamem
Hohn. Und schritt davon, in Blitz und Donner, Nacht und
Grauen. Schritt weiter, bis er in Finsternis verschwand.
Siebenundvierzigstes Kapitel
N un faßte mich erst eisiges Entsetzen. Nun hallte er mir nach,
der Fluch, den er einst über mich gesprochen: »Wenn ich dir
ein zweites Mal erscheine, vordem erschienen bin, so werde
ich dir Bote deines unseligen Endes sein!«
Jetzt aber fort. Fort von dieser Stätte der Enttäuschung, des
Todes, der Verzweiflung. Ich stürzte fort in irrer Hast. Barhaupt,
ohne Mantel, hinaus in Nacht und Ungewitter.
Über der Stadt war der Himmel klar und ruhig. Doch Unruhe
war noch auf den Straßen, trotz der späten Stunde.
Da standen sie in den Haustoren, verweilten in den Laubengängen
und gingen auf und ab, erregt, geängstigt und erbittert,
und konnten nicht genug erzählen von dem greulichen
portentum 5 ) , dessen Zeugen sie gewesen, von Gottes Strafgericht,
das sich in dem Gewitter furchtbar offenbarte und
meine Hexenkünste schmählich zuschanden werden ließ.
Während ich längs der Häuserwände scheu vorbeischlichund mich in jeder Nische duckte, da hörte ich, daß der allbeliebte
Bürgermeister Lansius, als er vor das Teufelskästchen
trat, um durch die Ferne mit mir zu sprechen, wie vom Blitz
getroffen tot zusammengebrochen sei, und mit ihm der gute
Doktor Heidegger, der ihn gleichsam schützend am Arme
hielt.
5) Wunder.
Ich irrte weiter, ziellos, haltlos, meines Wegs nicht achtend,
durch die immer stilleren Gassen.
Nun ist alles menschenleer und ruhig. Vor mir liegt, massig
aus dem Dunkel ragend, das Rathaus. Auf dem Zifferblatt der
Turmuhr schimmert im Mondenschein die Inschrift: Quaelibet
vulnerat ultima necat. Eine schwermütige Wahrheit: jede
Stunde bringt uns eine Wunde, und die letzte bringt der Tod.
Das paßt sehr gut zu jedem Uhrwerk, zu jedem Menschenwerk,
zu jedem Menschenleben.
Schutzsuchend lehnte ich an einem Mauerpfeiler und wich
zurück, von seiner Kälte angstvoll durchschauert.
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