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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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Zeuge meiner Unschuld,vor dessen Augen sie sich tötete, ist Ahasverus. Und
der hat sich von mir abgewendet.
    Kein Augenblick ist zu verlieren, fort von hier! Darum
noch einmal rasch nach Hause, so schwer es mir auch fällt,
um das Notdürftigste an mich zu nehmen, jetzt erst sah ich,
daß ich ohne Hut und Mantel war.
    Das Licht daheim, das ich vergessen hatte abzulöschen,
wies mir den Weg. Denn der Himmel hatte sich bedeckt, und
stockdunkel war die Nacht.
    Endlich war ich oben. Myriaden von Insekten umschwirrten
die Lampen, lichttrunken, todeslüstern. Ich ging in
scheuem Bogen um die Tote. Aus ihren starren Augen sprach
Verzweiflung und Entsetzen. Ein riesiger Nachtschmetterling
umflatterte sie langsam, in schwermütiger Pracht, als sei es
ihre Seele, die sich von dem schönen Leib nicht trennen
konnte.
    Hastig nahm ich an mich, was mir gerade in die Hände fiel,
vor allem meine Aufzeichnungen, und stürzte fort.
    Erst im Walde kam ich wiederum zur Besinnung. Wohin
soll ich fliehen? Zu Wallenstein? Oder weit fort, in ein fernes,
fremdes Land, wo mich nicht düstere Erinnerung bedrückt?
Zu den Türken, nach China oder Japan?
    Die werden mich nicht mißtrauisch umlauern und verfolgen;
ehrerbietig dankbar werden sie mich begrüßen. Ihnen
will ich meine Wissenschaft vertrauen, Panzerflotten, Flugmaschinen,
Ferngeschütze bauen und mit Millionenheeren —
ein zweiter, noch gewaltigerer Tamerlan — gegen Europa
ziehn und dieses Raubgesindel hier dem Orient zu Sklaven
machen.
    Soll ich nach Italien, nach Indien? Ja, nach Italien, wo die
Geister und die Künste freier sind, wo das Leben lebendiger
dahinströmt. Dort werde ich Galilei sehen und mit ihm zusammen
mein verschollenes Geheimnis neu entdecken.
    Vor meinen Augen steigen aus der Dunkelheit bunte Städte
im Lichte südländischer Sonne, in Flaggenschmuck, durchwogt
von frohem Volksgewimmel, mit hohen Kirchenkuppeln,Säulenhallen, finsterschönen Gärten, und schimmernde
Marmorschlösser am azurnen Meere, schöne Frauen, einsamer
Gesang in duftend liebesheißen Nächten. Ein goldner
Frühlingstraum, vor dessen Glanze ich die Augen schließen
mußte, schmerzhaft geblendet.
    Die Ferne, das Abenteuer lockte, zage Hoffnung lächelte.
    Noch ein paar hundert Schritte, und es kommt die Wegkreuzung.
Dort gabelt sich der Weg: nach Nürnberg, zu Wallenstein,
und nach dem Süden, ins Unbekannte.
    Dort muß ich mich entscheiden, dort wird es sich entscheiden,
mein Schicksal, Deutschlands Schicksal, das der ganzen
Welt.
    Stockdunkel war’s im Walde und tiefe Stille. Nur hie und
da der Angstruf eines Vogels, halb im Traume, ein Tannenzapfen,
der zu Boden fiel, oder der dumpfe Flügelschlag der
Eule. Es roch nach schwarzer Erde, die Waldblumen hauchten
ihre wilden Düfte, und durch das Tannendüster verglomm
ein Stern in schwermütigem Glanze.
    Eine seltsam losgelöste Stimmung bemächtigte sich meiner,
etwa wie ein gleichmütiges, entrücktes Staunen, als schaute
ich mir selbst von einem fernen Sterne zu, als sei es gar nicht
ich, als sei es nicht ein Schicksalsweg, den ich da ging. Und
seltsam, mitten in einsamer Nacht, im Waldesdunkel, auf der
Flucht ums Leben, in das Ungewisse, begann ich zu singen.
Es war ein Lied, von einem Schwedenreiter hatte ich’s gehört,
als er das Zaumzeug putzte und vor sich hin sang:
    Süß, mein Mädchen, ist es, dir ins Aug’ zu schauen.
    Süß ist’s, deinem Liebesschwur zu trauen;
    Süßer, meine Liebste, ist es, dich zu küssen und zu herzen.
    Doch am süßesten, o du mein Leben, sind die Schmerzen,
    Wenn du ’mich verlassen, die bitter-süßen Schmerzen.
    Aber da bricht es durch das Buschwerk. Hundekläffen,
Stimmgewirr und Fackeln. Sie haben mich umstellt.
    Matthäus Büttgemeister ist es mit ein paar Rumorknechten.
In seinen Händen sehe ich Agathes Balsambüchslein und
Agraffe, auch das blutbefleckte Messer, womit sie sich den
Tod gegeben hatte.
    In rasendem Zorne fährt er auf mich los: »Erzschelm, vermaledeiter!
Das ist der Dank für meine Hospitalität, daß Er
Höllenkünste treibt, daß Er Konradin verbrannt hat, daß Er
meine Braut behext und umgebracht hat, meine arme
Agathe!«
    Und mit gezücktem Degen drang er auf mich ein. Auch ich
zog das Rapier. Nicht nur, um mich zu wehren. Grimme Verzweiflung
über die mißglückte Flucht und etwas wie abenteuerliche
Neugier, wie Dämonenspott, raunte mir zu: Töte
ihn! Wenn du ihn tötest, so vernichtest du den Urquell allen
deines Leidens. Wenn dein Oheim ohne Kinder stirbt, so
bist

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