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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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himmlische Vision. Schließlich durchfuhr ihn ein Zucken, und der Kopf, den ich ihm mehr aus Mitleid denn aus praktischer Notwendigkeit hielt, fiel nach hinten. Simonis schloss ihm pietätvoll die Augenlider.
    «O mein Gott», stöhnte ich, «wie tragen wir ihn nur von hier fort?»
    «Wir werden ihn hierlassen, Herr Meister. Wenn wir ihn mitnehmen, wird die Guardia uns anhalten, und wir bekommen große Schwierigkeiten.» Simonis stand auf.
    «Aber das können wir nicht … sein Begräbnis …», protestierte ich entsetzt.
    «Die Garnison wird sich morgen darum kümmern, Herr Meister. Studenten trinken nachts viel und fordern sich zu Duellen heraus. Es kommt oft vor, dass man am Morgen Tote findet», sagte Simonis, während er mich schon am Ärmel fortzog. Der Wind auf den Bollwerken wurde stärker und brüllte uns fast in die Ohren.
    «Aber die Verwandten müssen benachrichtigt werden …»
    «Er hatte keine, Herr Meister. Danilo ist tot, und niemand kann noch etwas für ihn tun», sagte Simonis. Während er mich die Treppe hinunterschob, die von der Bastion führte, wurde das, was eben noch Wind gewesen war, zum Sturm, und mit einem Mal begann über ganz Wien erbarmungsvoll der weiße Segen des Schnees zu fallen.
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    1 * Schmerz, gelitten aus Liebe / Ist keine Pein mehr / Seine Dornen wandeln sich in Rosen / Nicht mehr kennt er den Gram / Nicht mehr kennt er das Weh …
    2 * Wenn ich es zu vergessen suche / Das Andenken an ihn, wächst die Liebe / Und wenn ich trachte, den Gedanken aus meinem Herzen zu verbannen / Wächst der Wunsch, ihn wiederzusehen …

Käyserliche Haupt-
und Residenz-Stadt Wienn
Sonntag, den 12. April 1711
VIERTER TAG
    Wie ein schlafender Riese ruhte der Ort Ohne Namen unter einer Decke aus Schnee. Die blütenweißen Flocken vollführten einen anmutigen Tanz in der Luft, während ich durch den großen Garten mit den achteckigen Türmen schritt. Kein Wind wehte, die Luft war klar und reglos. Die Fialen der Türme, die an Minarette gemahnten, zierte ein phantasievolles, weißgesprenkeltes Muster.
    Vor der Fassade des Schlosses musste ich mir die Hand vor die Augen halten, um nicht von dem leuchtenden Alabasterstein geblendet zu werden, dessen Wirkung der Widerschein im Schnee und der milchige Himmel vervielfachten. Die Flocken senkten sich wie ein Segen auf mein Haupt, alles strahlte wie im Paradies. Sogar die Bäume mit ihren kahlen, wie Klauen gekrümmten Zweigen erschienen freundlicher unter so viel unschuldigem Weiß. Ich wandte mich nach rechts, ging am maior domus vorbei und gelangte zum Hof hinter dem Haupteingang; von hier stieg ich die Wendeltreppe hinunter, die zum Gatter der wilden Tiere führte.
    Während ich hinabstieg, erblickte ich durch die Fenster den Fischteich auf der Nordseite des Ortes Ohne Namen. Er war von einer dünnen Eisschicht bedeckt.
    Als ich zur Löwengrube gelangte, erwartete Frosch mich schon.
    «Da Mustafa is bäuli gangen. Aufm Boinschpüplotz is a grennt und daun is a vaschwundn.»
    Wie war das möglich? Ich ließ mich von Frosch zum Ballhaus fuhren, insgeheim zweifelnd, ob er nicht wieder einmal zu tief ins Glas geschaut und schlichtweg vergessen hatte, wo er seinen Lieblingslöwen gelassen hatte.
    «Doda, duatn is geschegn!»
    Er zeigte auf das Fliegende Schiff, das immer noch mitten auf dem Platz des Ballspielhauses lag. Im Trubel der letzten Tage hatte ich es fast vergessen.
    Mit einem ungläubigen Blick kündete ich Frosch von meinen Zweifeln. Ein Löwe löst sich nicht in Luft auf.
    Da aber der Wächter des Ortes Ohne Namen weiterhin hartnäckig auf das alte Luftschiff wies (wenn es denn wirklich jemals geflogen war), beschloss ich, einen Blick daraufzuwerfen.
    «Wenn Mustafa sich nähert, kommt Ihr mir sofort zu Hilfe!», ermahnte ich ihn.
    Ich ging einmal um das Fliegende Schiff herum. Nichts. Im Schnee waren tatsächlich Spuren des Löwen zu sehen, doch sie verschwanden genau an der Stelle, an der ich stand, neben einem der großen Flügel.
    Also erklomm ich den Flügel, ging an Bord und begann, den Innenraum des Schiffs zu erforschen. Und plötzlich begann es.
    Zunächst war ein leichtes Rucken zu spüren, dann ein regelrechtes Stampfen, das immer stärker wurde. Es war, als breiteten sich vom Schwanz und von den Flügeln heftige Stöße aus, die sich dem Rest des Schiffs mitteilten und es zum Knarren und Ächzen brachten. Dann war es mit einem Mal still.
    Frosch beobachtete mich aufmerksam, aber er schien nicht erstaunt zu sein. Das Schiff hob

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