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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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das Gesäß seines Gegners zu rammen, welcher eilig verarztet werden musste.
    «Oh, nichts, Herr Onkel, eine kleine Diskussion», versetzte Domenico, im Versuch, die weniger noble Seite der von mir kurz zuvor noch so gepriesenen Wienerischen Lebensart zu verbergen.
    «Ein Meinungsaustausch zwischen Freunden», suchte ich Domenicos Lüge zu bekräftigen, doch Atto ließ sich nicht täuschen.
    «Diese Wiener und ihre Stadt sind genauso vulgär, wie man sie in Paris darstellt», sagte er in überheblichem Ton, der seine Befriedigung, endlich schlecht über sie sprechen zu können, kaum verbarg. «Sie mögen ja ungeheuer reich sein, aber die Straßen sind zum Beispiel so verschlungen wie ein Wollknäuel und so eng, dass die Fassaden, welche doch die größte Bewunderung verdienten, dem Auge nicht auffallen … obwohl mir das eigentlich herzlich gleichgültig ist, da ich das kostbare Gut des Augenlichts verloren habe und darum die Plätze Wiens vorziehe, wo ich mich, ohne irgend inkommodiert zu werden, ungehindert bewegen kann. Sie sind wohl mit sehr harten Steinen gepflastert, oder?»
    «Ja, nicht einmal unter den schweren Rädern der Bauernkarren können sie so leicht zerbröckeln», bestätigte ich.
    «Wie ich’s mir dachte. Misslich bleibt jedoch, dass die Zimmer in den Häusern aufgrund der engen Straßen außerordentlich dunkel sind und, der ärgerlichste Umstand überhaupt, dass es kein Gebäude gibt, wo nur fünf oder sechs Familien wohnen. Die vornehmsten Damen, ja sogar die Minister bei Hofe, leben Tür an Tür mit einem Schuster oder Schneider; es gibt niemanden, der mehr als zwei Etagen eines Hauses bewohnt: eine für sich und eine für die Dienerschaft. Den Rest vermieten die Hausbesitzer an wen auch immer; daher sind die Steintreppen in den Häusern immer schmutzig und in schlechtem Zustand, genau wie die Straßen. Aber man sieht ja ohnehin nichts: Die Gebäude sind viel zu hoch, die Straßen zu dunkel, und durch die Fenster fällt wenig Licht. Ich meine, ich sehe zwar nichts, leider, aber so erzählt man jedenfalls in Paris über Wien. Kannst du das bestätigen?»
    «Oft ist es so, Signor Atto», stimmte ich zu, verletzt von seiner plötzlichen Böswilligkeit. «Gestattet mir dennoch, Euch zu sagen, dass die Innenräume der Wohnungen dagegen …»
    «Ich weiß, ich weiß», kam mir der Kastrat zuvor, «ich habe gehört, dass es nichts Beeindruckenderes gibt als die Wohnungen der feinen Wiener Gesellschaft: eine Flucht von acht bis zehn sehr geräumigen Sälen; Türen und Fenster reich mit Schnitzwerk und Vergoldungen verziert; Möbel und Hausrat, wie man sie im übrigen Europa sogar in den Palästen der hochrangigsten Fürsten nur selten findet; Gobelins aus Brüssel, riesige Spiegel mit Silberrahmen, Betten und Baldachine aus Damast und Samt von erlesenstem Geschmack, große Gemälde, japanisches Porzellan, Kronleuchter aus Bergkristall …»
    Während Atto seine Kenntnisse hervorkramte, dachte ich an die Gelegenheiten zurück, die mich dank meiner Arbeit in das Haus eines Reichen geführt hatten. Die Macht des Pariser Klatsches! Atto war blind, aber es schien, als hätte er alles mit eigenen Augen gesehen. In seiner Seele kämpften überdies Bewunderung und Neid auf die Feinde Frankreichs: Am Vortage, bei seiner Ankunft, hatte er mir noch ein Loblied auf Wien, auf die Kaiser und ihren behutsamen Umgang mit der Opulenz gesungen und gegen die arrogante Verschwendungssucht der Franzosen gewettert, die das Land zugrunde gerichtet hatte. Jetzt hingegen verführte ihn der Neid auf solch großen Wohlstand zu den gehässigsten Verleumdungen. Er widersprach sich beträchtlich, der alte Abbé Melani, dachte ich lächelnd. Es sei denn … Mir kam ein Zweifel: Und wenn Atto gestern nicht ehrlich gewesen wäre? Wenn er die Vernunft der Kaiser und die Üppigkeit ihrer Residenzstadt nur darum so emphatisch gepriesen hätte, um den Verdacht von sich abzulenken, er sei für ein Komplott mit den Türken nach Wien gekommen? Ich beschloss, eine erste Frage zu wagen:
    «Signor Atto, was, glaubt Ihr, versucht der Aga bei Ihrer Kaiserlichen Majestät zu erreichen?»
    «Das möchte ich auch gerne wissen. Es könnte für meine, für unsere Mission sehr hilfreich sein. Aber was wollte ich sagen? Die Vorstädte Wiens hingegen …», kehrte er zu seiner vorherigen Rede zurück, wobei er ein Stück Palatschinken mit Creme abbiss, «wie deine Josephina, sind ausgesprochen reizvoll. Wer weiß, wie oft auch du schon stehen geblieben

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