Veritas
antwortete mit einem verschwörerischen Lächeln. Wir traten ein, und er erklärte mir, das ganze Haus, ein kleines, zweistöckiges Gebäude, sei an eine Gruppe Studenten vermietet, welche die Gewohnheiten ihrer Mitbewohner genau kannten. Wir setzten uns in dem engen Eingangsraum auf eine Bank, vor der eine Stiege in das obere Geschoss führte. Ich hatte kaum Zeit, mir den Schnee von der Pelerine zu schütteln, als uns ein Schrei aus der oberen Etage traf:
«Aaaaahhh! Jo, guat, hör net auf!», kreischte eine Frauenstimme.
«Es wird nicht mehr lange dauern, Koloman weiß, dass wir nicht zu spät kommen dürfen», flüsterte Simonis mir augenzwinkernd zu.
«Du bist a Viech, a Stier … noamoi, heast, i bitt di!», fuhr das teutonische Weib fort.
Koloman schien jedoch vernommen zu haben, dass wir eingetroffen waren. Wir hörten ihn höfliche Einwendungen machen. Die Diskussion zog sich hin und wurde dann lebhafter. Plötzlich hörte man eine Tür laut zuschlagen und Schritte die Treppe herunterkommen. Wir sahen die junge Frau (recht anmutig, blondes, im Nacken zusammengebundenes Haar, schlichte, aber neue Kleider), schäumend vor Wut, an uns vorbeiflitzen. Bevor sie durch die Haustür trat, drehte sie sich noch einmal um und schrie, unbekümmert um unsere Anwesenheit, eine letzte Schmähung gegen Koloman die Treppe hinauf:
«Du bist jo nur a ölenda Lakai, ungarischa, du gsöchta Mööwurm!»
Dann riss sie die Tür so gewaltsam zu, dass der Boden bebte.
«Das übliche Benehmen der Wienerinnen», sagte Simonis mit einem beschwichtigenden Lächeln.
Gleich darauf stieg unser Mann die Treppe herab und knöpfte sich mit einer Mischung aus Verlegenheit und Belustigung das Hemd zu.
«Eigentlich bin ich ein Baron, der siebenundzwanzigste Koloman Szupán unserer Familie, um genau zu sein, und Ober bin ich nur, um mein Studium zu bezahlen», sagte er, als wäre die junge Dame noch zugegen. «Entschuldigt bitte die unangenehme Szene, aber so sind sie nun mal, die Wienerinnen: Wenn man eine Verpflichtung hat und die Sache etwas abkürzen muss, werden sie wütend. In Italien dagegen …»
«… sind die Frauen geduldiger?», wagte ich zu fragen, während Koloman seinen Umhang überwarf.
«In Italien kürze ich die Sache nie ab», grinste Koloman, gab Simonis einen Klaps auf den Rücken und ging durch die Tür.
Die Kalesche des Pennals setzte sich langsam wieder in Bewegung und rollte über die weiche Schneedecke in Richtung Populescus Wohnung, wo vor zwei Tagen die Deposition stattgefunden hatte. Hier sollte der Kommers abgehalten werden. Jeder hatte Auskünfte über den Goldenen Apfel eingeholt, und man würde sich gewiss einiges zu erzählen haben. Aber der plötzliche Tod Danilos würde wie ein Schatten über der Zusammenkunft liegen, denn diejenigen, die er am meisten getroffen hatte, waren natürlich seine Freunde.
Auch Koloman Szupán wurde nach der anfänglichen Heiterkeit nun schweigsam. Um seine traurigen Gedanken zu verscheuchen, versuchte ich, während der Fahrt ein Gespräch anzuregen, wie Simonis es eben bei mir getan hatte. Ich fragte ihn, ob er mit seiner Arbeit als Ober zufrieden sei.
«Zufrieden? Im Moment danke ich erst mal dem Himmel, dass die Fastenzeit vorbei ist», sagte Koloman und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wollte er sich den Schweiß abwischen.
«Aber warum denn? Ich dachte, in der Fastenzeit würden die Ober in den Beisln weniger arbeiten, da man ja kein Fleisch isst und die Gerichte leichter zuzubereiten sind.»
Koloman fing an zu lachen. «Was meinst du, wie wir in der Fastenzeit schwitzen müssen, um all diese komplizierten Fischgerichte zu kochen! Gerösteter Aal in Speck, Hecht in saurer Sahne, im Ofen gebackene Krebse mit Petersilienwurzeln, in Öl geschmort mit Zitronensaft und Austern, gebratener Stockfisch mit Radi, Senf und Butter, ganz zu schweigen vom gebratenen Biber …»
«Gebratener Biber? Aber das ist kein Fisch.»
«Erklär das mal den Wienern! Und wir müssen sie sogar fangen gehen, diese verfluchten, haarigen Dinger. Zum Glück gibt es ja noch die Eier Luthers.»
«Die Eier Luthers?»
«Ja, die, die Luther niemals gegessen hätte. Es sind die Eier der Fastenzeit. Sie heißen zum Scherz so, weil die Katholiken sie essen, um Abstinenz vom Fleisch zu üben, während die Protestanten sich ins Fäustchen lachen und alles zu sich nehmen, worauf sie Lust haben. Aber hauptsächlich gibt es Fisch.»
Während der österlichen Abstinenz, erklärte Koloman,
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