Veritas
türkische Gefangene indes, fuhr Koloman fort, hatten dem Mönch erzählt, dass die Statue vor der Kirche der Heiligen Sophia nicht Justinian oder Konstantin, sondern die Muttergottes darstelle. Sie stand auf einer grünen Säule, und in der Hand hielt sie einen geheimnisvollen Stein aus rotem Granat, so groß wie ein Taubenei. Die Gefangenen sagten, der Glanz dieses Steins habe das ganze Gebäude erstrahlen lassen, und aus allen Ländern seien Reisende gekommen, um diesen Stein zu bewundern, aber auch, weil am Fuß der grünen Säule die Gebeine der Heiligen Drei Könige bestattet waren. Doch in der Nacht, als der Prophet, wie die Türken Mohammed nennen, geboren wurde, stürzte die Statue der Muttergottes um.
«Und der Granatstein?», fragten wir alle.
«Laut Aussage des Paters meinen einige, er befinde sich jetzt in Kizil Elma , das heißt, im Goldenen Apfel. Anderen zufolge ist er gestohlen und nach Spanien gebracht worden. Und wieder andere sagen, er sei in die Fassade der Kirche der Heiligen Sophia eingemauert worden, die nach Jerusalem gewandt ist.»
Wir blickten einander ein wenig ratlos an.
«Das ist alles noch sehr undurchsichtig», erklärte ich. «Und außerdem weiß man immer noch nicht, wer Eyyub und die vierzigtausend Märtyrer sind, von denen der arme Danilo gesprochen hat.»
«Vielleicht ist das irgendein finsterer pontevedrinischer Kram, der nichts mit dem Goldenen Apfel zu tun hat», mutmaßte Opalinski.
«Wir werden noch mehr Informationen sammeln müssen», sagte Populescu. «Vielleicht kann meine Brünette aus dem Kaffeehaus uns helfen. Ihr müsst wissen, dass sie mir die Zukunft vorhergesagt hat!»
«Liest sie aus der Hand?», fragte Koloman.
«Nein, aus dem Kaffeesatz. Ich habe zum ersten Mal gesehen, wie man das macht.»
Die junge Frau hatte Populescu einen schönen heißen Kaffee serviert und ihn gebeten, die Tasse nicht leer zu trinken, sondern einen kleinen Rest am Boden zu lassen. Darauf hatte unser Freund auf ihre Anweisung mit der linken Hand die Tasse dreimal geschüttelt, um die Flüssigkeit zu verrühren, dann hatte er sie auf den Untersatz tropfen lassen und zuletzt die Tasse dem Mädchen gereicht. Nachdem sie die vagen Gebilde, die als Kaffeesatz am Tassenboden geblieben waren, gründlich studiert hatte, war ein klarer, unmissverständlicher Orakelspruch von der jungen Frau ergangen:
«Herausgekommen sind die Trompete, das Rechteck und die Ratte», sagte Populescu sichtlich erregt.
«Und was bedeutet das?», fragte Opalinski.
«Die Trompete kündigt große Veränderungen durch eine neue Liebe an.»
«Das stimmt, man verändert sich durch die Liebe», sagte Koloman spöttisch. «Und du bleibst tatsächlich immer so gleich, dass dir nicht mal mehr die Fingernägel wachsen!»
«Witzbold. Dann das Rechteck: Es kündigt aufregende erotische Abenteuer an. Damit hat sie bestimmt ins Schwarze getroffen.»
«Wieso, hat man dich vergewaltigt?», fragte Simonis.
«Idiot. Ihr hättet sehen sollen, wie die Kleine mich angesehen hat, als sie mir das Rechteck erklärte. Als ob sie mir sagen wollte: ‹Du wirst dich noch wundern, was ich alles mit dir anstelle …»›
«Alles klar, Nostradamus», sagte Koloman mit einem skeptischen Lächeln, «und die Ratte?»
«Nun ja, das ist das weniger günstige Zeichen von den dreien, aber nach eurem blöden Gerede zu urteilen, trifft auch das zu. Es bedeutet nämlich, man solle sich vor seinen Freunden hüten.»
«Aber wenn du doch gar keine hast!», rief Koloman aus, und als die ganze Gruppe in ein wildes Gelächter ausbrach, riss Populescu endgültig der Geduldsfaden.
«Lacht ihr nur, ich hoffe jedenfalls, dass meine kleine Brünette aus dem Kaffeehaus …»
«Hoffen ist zwecklos, mit dir geht sie sowieso nicht», lachte Koloman.
«Mit dir noch weniger: Sie hasst Schweißgeruch unter den Achseln.»
17. Stunde: Die Sonntagsvorführungen in den Theatern enden. Handwerker, Sekretäre, Sprachlehrer, Priester, Handelsdiener, Lakaien und Kutscher speisen zu Abend (während man in Rom gerade die nachmittägliche Zwischenmahlzeit einnimmt).
Nachdem wir uns von Koloman und Opalinski verabschiedet hatten, freilich nicht, ohne ihnen einen ersten Lohn für die geleistete Arbeit auszuzahlen, nahmen Simonis und ich mit Penicek und Dragomir in einer nahe gelegenen Garküche rasch eine Stärkung zu uns (Hühnersuppe, gebratenen Fisch, verschiedene Brötchen, Kochfleisch, Kapaun und Wildhuhn). Danach schickte ich mich an, in die Himmelpforte
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