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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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zurückzukehren.
    Doch da überraschte Simonis mich mit einer unerwarteten Neuigkeit:
    «Wir müssen uns sputen, Herr Meister, Hristo könnte uns schon erwarten», sagte er und forderte mich auf, wieder in Peniceks Kalesche zu steigen, dem er bereits Order gab, in Richtung des großen Jagdreviers zu fahren, welches Prater genannt wurde.
    «Ach ja, Hristo. Hattest du nicht gesagt, er würde später zu uns stoßen?»
    «Ich muss für diese kleine Notlüge um Verzeihung bitten, Herr Meister. Wie Ihr seht, ist er gar nicht gekommen. Nicht, dass er nicht hätte kommen können. Aber er wollte nicht vor allen sprechen.»
    «Warum denn das nicht?»
    «Ich weiß es nicht. Heute Morgen habe ich ihn kurz gesehen, und er hat mir gesagt, es sei ihm lieber so. Es gebe da etwas, was ihn misstrauisch mache.»
    «Und das wäre?»
    «Das hat er mir nicht verraten. Er hat mir allerdings gesagt, seiner Meinung nach sei die wahre Bedeutung des Satzes des Agas ausschließlich in den Worten soli soli soli enthalten.»
    «Und wie kommt er darauf?»
    «Er hat gesagt, es habe etwas mit dem Schachmatt zu tun.»
    «Mit dem Schachmatt?», fragte ich erstaunt und ein wenig misstrauisch. «In welcher Weise denn das?»
    «Ich habe keine Ahnung. Aber an Eurer Stelle würde ich mich auf seinen Spürsinn verlassen. Hristo ist ein Meister des Schachspiels.»
    Hristo Hristov Hadji-Tanjov, erklärte Simonis, bestritt seinen Lebensunterhalt, indem er sich zu bezahlten Schachspielen herausfordern ließ, die er sämtlich gewann. Die Wiener Nacht war nämlich das unangefochtene Reich der Glücksspieler. An allen Ecken und Enden der Stadt – in Beisln, Kaffeehäusern, in Lokalen für Reiche und den übelsten Spelunken – forderte man spielend das Schicksal heraus.
    Plötzlich machte die Kalesche einen Satz, Penicek war schlagartig abgebogen.
    «Was ist los, Pennal?», fragte Simonis.
    «Das Übliche: eine Prozession.»
    Es waren die Oratorianerpatres des Heiligen Philipp Neri. Darum hatte Penicek jäh die Richtung gewechselt und war in eine Querstraße abgebogen. Wenn wir nämlich von dem Umzug der Gläubigen gesehen worden wären, hätten wir anhalten, niederknien und geduldig warten müssen, bis das Allerheiligste langsam vorübergetragen wurde. Damit hätten wir riskiert, zu spät zu unserer Verabredung mit dem Bulgaren zu kommen.
    «Hristo spielt gewöhnlich im Wirtshaus Zum Grünen Baum in der Wallnerstraße», sagte Simonis, «eine schöne Schänke, immer gut besucht.»
    Hier traf man nicht nur Handwerker, Kaufmänner und Leute aus dem Volk, erklärte er, sondern auch reputierliche Aristokraten mit klingenden Namen und Kleriker von mustergültigem Ruf, die alle bereit waren, sich von gewerblichen Glücksspielern mit Würfeln oder Karten ausnehmen zu lassen, sei es beim Bassette, beim trente-et-quarante , beim Trick-Track oder eben beim Schach.
    «Die meisten von ihnen kommen aus Eurer Heimat, Italien, und sie sind die Besten, einschließlich der Schachspieler. Hristo spricht mir oft von einem Gioacchino Greco, einem Kalabresen, der seiner Meinung nach der größte Spieler aller Zeiten war. Auch sie spielen um Geld, viel Geld», fügte Simonis hinzu.
    Wieder wurden wir unterbrochen. Peniceks Gefährt hatte erneut einen jähen Schwenk zur Seite gemacht.
    «Und was ist jetzt los?», rief mein Gehilfe streng.
    «Noch eine Prozession.»
    «Schon wieder? Was geht denn da heute vor?»
    «Ich habe keine Ahnung, Herr Schorist», antwortete Penicek mit größter Ehrerbietung, «diesmal ist es die wällische Bruderschaft der unbefleckten Empfängnis Maria. Sie ziehen alle zum Stephansdom.»
    Ich blickte hinaus, und bevor unser Wagen sich durch die Seitenstraße entfernte, hatte ich Zeit, die betrübten Gesichter der Teilnehmer und ihren ungewöhnlich inbrünstigen Gesang zu vernehmen.
    Jede Nacht, erzählte Simonis unterdessen weiter, wechselten ganze Vermögen den Besitzer und landeten, Tränen, Verzweiflung und Selbstmordgedanken hinter sich lassend, in den Taschen irgendeines italienischen Glücksritters: Gold, Ländereien, Häuser, Juwelen, und von denen, die nichts anderes mehr bieten konnten, sogar Hände und Augen.
    «Augen als Einsatz beim Spiel?»
    «Das sind Dinge, die einem Menschen, der sein Geld mit ehrlicher Arbeit verdient und nachts zu Hause bleibt, nicht im Traum einfallen würden, Herr Meister. Nun, um gewisse Exzesse einzudämmen, ist immer noch eine alte städtische Ordonnanz aus dem Jahre 1350 in Kraft, welche jenen, die kein Geld mehr

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