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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Josephinsel geworden war! Wenn sein Komplott ans Licht kam, würde ich zusammen mit ihm geradewegs auf dem Schafott enden. Erst hatte er mein Leben und den Unterhalt meiner Familie aufs Spiel gesetzt, und nun drohte der alte Kastrat mich mit sich in den Tod zu reißen! Allein, er war ein Greis von fünfundachtzig Jahren, und im Grunde übernähme der Henker nur eine Aufgabe, die der Tod nicht mehr lange säumen würde, selbst auszuführen. Ich dagegen stand in der Mitte des Lebens und musste eine Familie ernähren! Die Angst machte mich schwindelig und ließ mich am ganzen Körper erschauern.
    Fest drückte ich den schwarzen Läufer in der anderen Hand, als könnte ich Abbé Melani auf diese Weise erdrosseln, zerquetschen, wie durch Zauber aus meinem Leben jagen.
    Ich betrachtete den selig schlafenden Kleinen und dann das süße Gesicht meiner Frau Cloridia. Dabei verfluchte ich den Kastraten und seine Ränke, die den Schlaf meiner Lieben stören wollten! Und meine beiden Jungfräulein, die in Rom geblieben waren und bang darauf warteten, zu uns zu kommen? Welch ein elendes Schicksal erwartete sie, wenn die Nachricht eintraf, dass ihr Vater wegen Hochverrates verurteilt und dann wie ein gemeiner Verbrecher geköpft oder womöglich (und hier wurden die Angstschauder unerträglich) auf dem entsetzlichen Rad aufgeschlitzt und gevierteilt worden war?
    Mit beißender Reue gestand ich mir selbst, dass ich der Verantwortliche für alle Leiden meiner Familie war. Welch ein unwürdiger Gatte und Vater war ich doch gewesen! Ein kläglicher, gemeiner Landsknecht, geradeso unbedeutend wie der weiße Bauer in meiner Hand, dem ich aus Wut den Kopf hätte abbeißen wollen.
    Oh, meine Cloridia, dreiste, bezaubernde und gelehrte Kurtisane, die dem kleinen Hausburschen vor achtundzwanzig Jahren die Knie erzittern ließ! Welch einem erbärmlichen Ende hatte ich ihren samtig schimmernden, braunen Teint bestimmt, der einen reizenden Gegensatz zu den vollen Locken bildete, dem Rahmen für die großen schwarzen Augen und die dichtstehenden Perlen des Mundes, die rundliche, stolz hochgetragene Nase, die schwellenden Lippen mit dem Hauch Rot, der genügte, ihnen die vage Blässe zu nehmen, und die kleine, aber feine, harmonische Gestalt mit dem schönen Schnee der Brust, unberührt und von zwei Sonnen geküsst, über den Schultern, die einer Büste von Bernini würdig waren. Ich hatte sie gekannt, als sie erhabener erschien denn eine Madonna Raffaels, verzückter als ein Sinnspruch der Theresia von Ávila, wundersamer als ein Vers des Cavalier Marino, melodiöser als ein Madrigal von Monteverdi, lüsterner als ein Distichon von Ovid und heilbringender als ein ganzer Band von Fracastoro.
    Was hatte ich aus ihr gemacht? Die Witwe eines Pendels am Galgen! Anfangs war ich kein schlechter Gatte gewesen, sagte ich mir: Um sich mit mir zu verbinden, hatte sie das Gunstgewerbe aufgegeben, in welches schändliche, geheime Bewandtnisse sie gezwungen hatten. Davon erfuhr ich, als wir uns in der Locanda des Donzello kennenlernten. Ja, aber dann? Wir wohnten in dem Häuschen, das mein Schwiegervater, nicht ich, für uns gekauft hatte, und bis vor zwei Jahren lebten wir von den Erträgen unseres kleinen Landguts, das wir ebenfalls ihm verdankten. Ich hatte hart in der Villa Spada gearbeitet, gewiss, aber was war das schon gegen den Ruf einer ausgezeichneten Hebamme, den Cloridia sich zum großen wirtschaftlichen Vorteil der ganzen Familie erworben hatte?
    Welch ein nichtswürdiger Lump war ich doch, dass ich drei Jahrzehnte lang unfähig gewesen war, meiner Gattin Wohlstand zu sichern, ja, ihr sogar die Schmach der Armut und schließlich den Verlust der ererbten Güter ihres Vaters nicht hatte ersparen können! Und dennoch hatte sie sich nie geschont: Sie hatte sich mir mit ihrer ganzen Person anvertraut, war immer treu und zärtlich geblieben und hatte drei Kinder zur Welt gebracht, indem sie ihnen mit ihrem Leib das Sein und mit ihrer Brust das Wohlsein schenkte.
    Am Ende dieser Überlegungen schloss der Prozess, den ich so gegen mich selbst geführt hatte, mit einer Verurteilung.
    Wieder betrachtete ich den schwarzen Läufer der Schachfiguren. Ich musste zugeben: Wäre er nicht gekommen, der schwarze Abbé Melani, uns aus dem Elend zu erlösen, wir säßen um diese Zeit immer noch in Rom, hungernd, der Kleine vielleicht schon tot, erfroren bei einem neuerlichen Kälteeinfall, ich umgekommen durch einen Sturz vom Dach oder von einem Kamin oder,

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