Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
Vom Netzwerk:
Bett, wo ich Cloridia noch sitzend, aber schon eingeschlummert fand. Sie hatte auf mich warten wollen, doch die Müdigkeit hatte sie überwältigt.
    So blieb ich allein, um mit Trostlosigkeit und Zweifeln zu ringen. Ich setzte mich an den Tisch und barg das Haupt in den Händen. Seit wir in der Kirche die traurige Nachricht vernommen hatten, war mir keine einzige Sekunde zum Nachdenken geblieben. Der Kaiser schwebte also in Lebensgefahr? Es schien wie ein grässlicher Albtraum, doch zu viele Anzeichen bewiesen, dass ich leider nicht träumte. Hatten mein Gehilfe und ich nicht am Sonntag, als Peniceks Kalesche uns zur Verabredung mit dem armen Hadji-Tanjov brachte, gut drei Prozessionen angetroffen, die zum Stephansdom zogen?
    Auf dem Tisch lag Hristos Schachbrett. Ich strich mit den Fingerspitzen über die Beulen, welche die Kugel aufgehalten und mir das Leben gerettet hatten.
    Am Abend zuvor, entsann ich mich, hatten wir alle die unerklärliche Erregung der Chormeisterin bemerkt. Mit ungewöhnlicher Heftigkeit hatte sie während der Proben zum Heiligen Alexius dem armen Gaetano Orsini widersprochen. Überdies hatte Camilla eine düstere, melancholische Arie gewählt und dann von Voraussagen gesprochen. Jetzt verstand ich, dass traurige Todesahnungen ihr Herz beschwert hatten. Sie dachte an den Kaiser, der auf dem Grab seines Freundes Lamberg gestanden hatte, sicher auch an die finstere Prophezeiung des Englischen Wahrsagers , an die Warnung jenes perfiden Jesuiten Wiedemann und an wer weiß was noch alles, denn es gab ja nicht wenige, die sich den Tod Ihrer Kaiserlichen Majestät wünschten. Wer könnte ihr unrecht geben? Vor achtundzwanzig Jahren, als ich in Rom Hausbursche der Locanda des Donzello gewesen war, hatte ich mit eigenen Augen in einer astrologischen Gazette die zutreffende Voraussage vom Tode einer Herrscherin gelesen: der unglücklichen Gemahlin des Allerchristlichsten Königs.
    Ach, es war leider kein böser Traum, seufzte ich, während ich das Schachbrett aufklappte. Eine Frage quälte mich jedoch mehr als alles andere: Welche Pläne hegte Abbé Melani wirklich? Er war just an dem Tag in Wien eingetroffen, als der Kaiser erkrankte, und nur einen Tag nach der Ankunft des Agas. Atto war gekommen, um die Partie Frankreichs an zwei Tischen zu spielen. Einerseits wollte er Eugens Verrat aufdecken und ihn damit ein für alle Mal außer Gefecht setzen, ohne dass dem Prinzen die Niederlande überlassen werden mussten, wie er gefordert hatte. Das hatte Melani mir offen bekannt. Andererseits gab es für Frankreich noch eine viel bessere Lösung: den Tod Josephs I. In welcher Weise diese beiden Dinge miteinander zusammenhingen, war mir, ehrlich gesagt, nicht ganz klar, doch war das nicht einerlei? Der Abbé selbst hatte mich vor Jahren gelehrt: Man muss nicht alles wissen; wichtig ist nur, die Bedeutung dessen, was geschieht, zu verstehen. Und die Bedeutung hatte ich begriffen, o ja, leider. Mit all der Erfahrung, die ich an der Seite des intriganten Kastraten gesammelt hatte, genügte es mir, zwei und zwei zusammenzuzählen. Diesmal hatte ich nicht auf den Ausgang der unheilvollen Geschehnisse warten müssen, um zu verstehen; ich hatte Melanis Spiel kaum vierundzwanzig Stunden nachdem ich ihn wiedergetroffen hatte, durchschaut. Du machst Fortschritte, sagte ich mir mit bitterer Ironie.
    Freilich musste ich einräumen, dass meine Anklagen Atto aus der Fassung gebracht zu haben schienen. Doch ich durfte mich nicht täuschen lassen: Immer hatte er mir etwas vorgespielt, sogar in den tragischsten Momenten. Ich hatte ihn über den Tod eines seiner liebsten Freunde weinen sehen, um später zu entdecken, dass er selbst bis zum Hals in die Sache verwickelt war. Ich durfte nicht vergessen, dass Atto ausgerechnet an dem Tag in Wien eingetroffen war, an dem der Kaiser die ersten Anzeichen seiner Krankheit verspürt hatte. Genauso hatte es sich in der Vergangenheit schon einmal abgespielt: Vor achtundzwanzig Jahren war Melani just an dem Tag in die Locanda des Donzello gekommen, als jener alte, französische Gast auf unerklärliche Weise verstarb …
    Der bösartige Kastrat hatte mich immer wie eine Schachfigur benutzt: Nicht mehr war ich als der armselige, weiße Bauer, den ich jetzt in der Hand hielt, eine wehrlose Beute für den heimtückischen, schwarzen Läufer, wie dieser schurkische Abbé.
    Ich Armer, der ich nur dank Atto Melani Rauchfangkehrermeister und Besitzer eines Häuschens und Weingartens auf der

Weitere Kostenlose Bücher