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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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dachte ich.

5.30 Uhr: Frühmesse. Von nun an folgt unaufhörlich Glockengeläut, das den ganzen Tag lang Messen, Andachten und Prozessionen ankündigt. Die Beisln und Bierhäusl öffnen.
    Während wir zur Himmelpforte zurückfuhren, wurde es auf den Straßen schon lebhafter. Brotläden, Gasthäuser und Zuckerbäcker sandten jenen Duft von Schokolade aus, welcher (wie ich es von keiner anderen Stadt kenne) die Passanten von Zeit zu Zeit in einer Gasse, einem Garten oder einer belebten Allee in der Nase kitzelt, als würden ihnen plötzlich Geister aus dem Jenseits begegnen.
    Milchfrauen, Bäcker, Musizi und Lakaien traten aus ihren Häusern und füllten die Reihen der sich plagenden Arbeiter, während die Adeligen noch in ihren Betten lagen.
    Vorsichtig, um nicht einen der schlaftrunkenen Handwerksgesellen auf der Straße anzufahren, bog Peniceks Kalesche aus der Kärntnerstraße in die Himmelpfortgasse, und gerade, als ich meine Cloridia vor dem Portal des Klosters entdeckt hatte, beobachtete ich plötzlich etwas Merkwürdiges.
    Ich wusste, dass sie ob meiner langen Abwesenheit besorgt war; also winkte ich ihr, in der Kalesche stehend, lebhaft zu. Doch nun sah ich an ihrer Seite einen Schatten aus dem Nichts auftauchen und ihren Arm ergreifen. Cloridia schrie auf.
    Die Erinnerung an das, was in den nun folgenden Minuten geschah, ist nur verschwommen in meinem Gedächtnis bewahrt. Ich werde dennoch versuchen, jene blitzartigen Begebnisse getreulich zu schildern. Wir waren nicht weiter als etwa zwanzig Schritt von der Himmelpforte entfernt. Simonis sprang aus Peniceks Kalesche und eilte meiner Gattin zu Hilfe; ich schickte mich an, es ihm nachzutun, wiewohl ich meinen Schritt um ein Vieles kürzer wusste. Doch da ging der Klepper durch, der Peniceks Kalesche zog, weil er wohl die Gefahr und das kommende Gefecht witterte. Die Kutsche schwankte, ich verlor, just als ich herausspringen wollte, das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Doch sofort hob ich die Augen und konnte den Schatten, welcher Cloridia angegriffen hatte und sich nun zurückzog, genau erkennen: Es war der Kapuzenmann, der Freund des Derwischs Ciezeber, der Cloridia im Palais des Prinzen Eugen mehrmals bedrohlich angestarrt hatte. Ich erkannte ihn an seiner Kleidung.
    Simonis war fast bei ihm, doch er hatte schon die Flucht angetreten und verschmolz jetzt mit dem Aschgrau des anbrechenden Tages. Meine Frau lag am Boden, zu Tode erschrocken und weinend. Simonis verlor einen kostbaren Moment, um sich zu vergewissern, dass ihr keine Verletzung zugefügt worden war. Dann, als ich mich humpelnd näherte, nahm mein Gehilfe die Verfolgung wieder auf, und ich folgte ihm meinerseits. Der Kapuzenmann konnte uns nicht entwischen.
    Ungläubig wohnten die Passanten dieser Menschenjagd zu früher Morgenstunde bei. Von den Fenstern aus rief man «Haltet den Dieb!» (obwohl er keiner war), und einige noch bettschwere junge Männer machten sogar Anstalten, sich der Verfolgung anzuschließen, freilich nur, um sofort wieder aufzugeben. Nachdem er die ganze Himmelpfortgasse hinuntergelaufen war, gelangte der Kapuzenmann zunächst an die Bastionen, bog dann nach links in die Seilerstätte und verschwand in einer Gasse hinter dem Kloster der Augustinerinnen des Heiligen Jakobus. Simonis war ihm auf den Fersen, doch mir kam ein besseres Manöver in den Sinn: Ich nahm die Parallelstraße, die Riemergasse, welche im Gegensatz zu der anderen, krummen und gewundenen Strecke, gerade verlief. Trotz meiner minderen Geschwindigkeit kam ich daher gleichzeitig mit Simonis und dem Kapuzenmann an der Kreuzung der beiden Straßen an.
    So geschah es, dass ich, als die beiden aus der Gasse auftauchten, direkt vor dem Kapuzenmann stand. Wie groß aber war meine Überraschung, als ich sein grässliches Gesicht erblickte: Ich kannte ihn und er mich.

    Er riss die Augen auf, und über sein bestialisches Gesicht ging ein freches Grinsen. Dann breitete er die Arme aus, um mich mit seiner schmutzigen Gestalt, halb Maulwurf, halb Marder, zu umfangen. Simonis aber sprang ihn von hinten an, und alle drei stürzten wir auf einen Karren mit Obst und Gemüse, das Fahrzeug mitsamt seinem Besitzer umreißend und eine tolle Lawine aus Äpfeln, Kohlköpfen, Rüben und Radieschen auslösend. Wie Quecksilbertropfen sprangen sie in tausend Richtungen auf dem Pflaster auseinander.
    Ein Schlag gegen die Schläfe ließ mein Haupt wie einen hölzernen Resonanzboden vibrieren. Während die Schreie der umstehenden

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