Veritas
bstechn
Die Aufzeichnungen ließen klar auf die üblichen verwerflichen Taten des Heiligenfledderers schließen: Erpressung von Kaufleuten, Betrug einer jungen Klosterschwester, Meineid vor Gericht, Falschmünzerei, die Rückgabe von Gegenständen, die er einem armen blinden Waisenkind dreist entwendet hatte und für die er sogar Lösegeld verlangen wollte, ein Kirchenraub, für den er den Pfarrer bestochen hatte. Die üblichen Schändlichkeiten also, denen sich dieses Wesen aus der Unterwelt widmete. Doch was war von der Notiz zum nächsten Tag zu halten?
Midwoch – den ogschnidanen Schädl vom Hüseyin Pascha fian Derwisch
Ich hätte es mir denken können! Der Kopf, den Ugonio dem Derwisch unterschieben wollte, war nicht das (zumindest für die Osmanen) überaus kostbare Haupt Kara Mustafas, sondern das eines gewissen Hüseyin Pascha. Um wen auch immer es sich handelte, sein Schädel war gewiss nicht jener, den der Derwisch bestellt hatte. Seiner magischen Künste zum Trotz würde Ciezeber also das Opfer der Betrügereien eines simplen Heiligenfledderers werden.
Als ich Melani das Billett vorgelesen hatte, war er nicht weniger erstaunt als ich. Doch wie groß war unsere Überraschung, als ich am Ende dieser Reihung mit lauter Stimme zwei weitere Notizen las, eine davon in Latein, die sich zweifellos auf eine uns wohlbekannte Person bezog:
Midwocbnochmidog – Al . Ursinum . De zwa Aufgnepfl Danoch : Diakon vom Steffl
Das war zu viel. Ich warf Melani das Billett in die Hände, als könnte er es entziffern (und tatsächlich griff er, vielleicht wegen des unerfüllbaren, doch heftigen Wunsches, es zu lesen, mit erstaunlicher Behändigkeit nach dem Papier).
Dann stürzte ich zur Tür und auf die Straße, um den Heiligenfledderer einzuholen. Zu spät: Als ich auf die Himmelpfortgasse kam, war Ugonio schon verschwunden. Ich lief bis zur Kärntnerstraße, kehrte um und erforschte rasch die Seitenstraßen: nichts.
Zurück im Kloster, erklärte ich Abbé Melani, was die Notiz bedeuten musste.
«Al. Ursinum? Natürlich, das ist eindeutig.»
Ugonio war über die Maßen nervös geworden, als ich seine Schlüsselsammlung beschlagnahmt hatte. Denn mit ihr hatte er auch seinen Merkzettel mit dem Wochenplan verloren, worin offenbar wurde, dass der Kopf, den er Ciezeber unterjubeln wollte, nicht von Kara Mustafa, sondern von einer gänzlich anderen Person stammte. Der Derwisch hatte Ugonio Rache angedroht, wenn der Heiligenfledderer über seinen Auftrag nicht Stillschweigen bewahrte. Kaum auszudenken, was er tun würde, wenn er den Betrug entdeckte.
Doch es war das Wort «Ursinum», was die größten Befürchtungen in uns weckte. Es konnte nichts anderes bedeuten als den latinisierten Namen des Kastraten Gaetano Orsini. Und die Buchstaben «Al.» waren unverkennbar eine Abkürzung von Der Heilige Alexius , Titel des Oratoriums, in dem Orsini den Part des Protagonisten hatte. Weniger eindeutig, doch alles andere als nebensächlich, war die Identität der beiden Gehenkten.
Was zum Teufel hatte Ugonio mit Orsini zu schaffen? Was hatten ein ausgemachter Halunke und ein berühmter Tenor, Freund von Camilla de ’ Rossi, ja Intimus des Kaisers, gemein? Hatten die beiden eine geheime Abmachung miteinander?
Vielleicht war auch Orsini nur ein Reliquiensammler, sagte ich mir, und Ugonio hatte ein Stelldichein mit ihm, um ihm eines seiner «seltenen Stücke» zu verkaufen. Doch wenn es so war, warum hätte der Heiligenfledderer sich dann so zieren sollen, es uns zu verraten? Mit lüsterner Miene hatte er seine nächste Aufgabe, nach der Ablieferung des Kopfes bei Ciezeber, als «dringstliche und delikatlichste» Angelegenheit bezeichnet. Wenn er nicht etwas zu verbergen gehabt hätte, hätte er uns gesagt, mit wem er verabredet war. Kurz zuvor hatte ich ihm noch mitgeteilt, dass ich mich jeden Abend in die Kaiserliche Kapelle zu den Proben für den Heiligen Alexius begab – er wusste also, dass ich Gaetano Orsini kannte!
Nein, Orsini und Ugonio verheimlichten etwas. Es war, als vermischten sich Teufel und Weihwasser, Licht und Finsternis, Nichts und Alles. Oder war es vielleicht doch vorhersehbar gewesen – waren die Musizi nicht seit eh und je eine Brutstätte der Spionage? Lag es nicht auf der Hand, dass Spione sich zu Betrügern gesellten? So war es. Doch wer waren die beiden Gehenkten? Gerade hatten wir noch einen Seufzer der Erleichterung getan, wegen des Kopfes für den Derwisch, und schon tauchten zwei neue
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