Veritas
Erato, die holden Musen der Klänge, immerfort vom heimtückischen Merkur verfolgt zu werden, dem Meister der bösen Künste. Nun schämte ich mich, stolz auf meine Freundschaft mit derartigen Menschen gewesen zu sein, denen ich, der einfältige Tropf, insgeheim gewiss zum Gespött geworden war.
Doch was mir vorzüglich das Herz beschwerte, war der Gedanke an die Chormeisterin. Hatte auch sie teil am schmutzigen Brauch des Spionierens? Vieles war mir an Camilla rätselhaft geblieben. Wie hatte sie zum Beispiel ahnen können, dass Cloridia so gut Türkisch sprach? Nicht einmal ich, ihr Ehemann, hatte das gewusst! Doch die Chormeisterin, der Sprachkenntnisse meiner Frau bereits vollkommen gewiss, hatte sie für den Dienst im Palais des Prinzen Eugen vorgeschlagen, während der Aga sich dort aufhielt. Und dann ihr neugieriges Interesse an Cloridias Vergangenheit, ihrer türkischen Mutter und ihrer Gewohnheit, wie diese mit Dinkel zu kochen. Nicht zuletzt ihre eigene Bekanntschaft mit Atto Melani. Sie habe sich ihm in Paris vorgestellt, sagte sie, zusammen mit ihrem Mann Franz de’ Rossi, dem Großneffen – sagte sie! – des Seigneur Luigi und früheren Lehrers von Atto Melani. Doch welche Beweise hatte ich für all das? Denn fragte man sie nach ihrer Vergangenheit, weigerte Camilla sich, über ihr Leben vor der Ehe zu sprechen. Sie sagte, sie sei Römerin, obendrein aus Trastevere, doch in ihrer Sprechweise hörte man nicht die Spur eines römischen Akzents.
Und obendrein war dieser Anton de’ Rossi, der ehemalige Kammerherr des Kardinal Collonitz, tatsächlich – und ob! – ein Verwandter von Franz! Zurück aus dem Hafnersteig, hatte Simonis mir berichtet, er habe den Hausherrn nicht angetroffen, und es sei ihm auch nicht gelungen, viel über Gaetano Orsini herauszubekommen. Er hatte nur erfahren, dass ihre Freundschaft auf den Gesangsstunden gründe, welche der junge Kastrat vor Jahren bei dem Cousin Anton de’ Rossis genommen habe, einem frühzeitig verstorbenen Hofkomponisten mit Namen Franz … Warum hatte Camilla das geleugnet?
Da ich neben Cloridia saß, nutzte ich den Moment, um sie an meinen Gedanken teilhaben zu lassen. Sie sah mich offenen Mundes an: Schatten des Verdachts fielen nun auf jene, die sie inzwischen als gute Freundin betrachtete. Besorgt runzelte sie die Stirn. Ich ahnte, woran sie dachte. Vor einiger Zeit hatte die Chormeisterin ebenfalls geleugnet, mit jener Camilla de’ Rossi verwandt zu sein, die Cloridia flüchtig kennengelernt hatte, und zwar in Trastevere: Wer weiß, ob Camilla nicht auch damals gelogen hatte?
An diesem Abend folgte auf den Heiligen Alexius die kurze Probe einer anderen Komposition, die ebenfalls in den nächsten Tagen aufgeführt werden sollte.
Nun sang ein Knabe mit überaus süßer Stimme, deren Unschuld, so dachte ich, in scharfem Kontrast zu den finsteren Seelen dieser Musizi stand. Das Stück stammte von Francesco Conti, dem Theorbenspieler, und die lateinischen Worte, die der Knabe sang, schienen mir wie geschaffen, mein Verlangen nach Gerechtigkeit zu wecken. Zunächst erklang ein betrübtes Gebet zum Heiland:
Languet anima mea
Amore tuo , o benignissime Jesu ,
Aestulat et spirai
Et in amore deficit …
«Nach deiner Liebe, o süßer Jesus, verlangt meine Seele, sie brennt und seufzt und verzehrt sich vor Liebe»: Wahrlich, dachte ich mit bitterer Ironie, das sind gerade die richtigen Worte für eine zwielichtige Spionentruppe wie dieses Orchester. Geeigneter schien hingegen die folgende Strophe, mit welcher ein Allegro moderato begann:
O vulnera , vita coelestis ,
Amantis , trophea regnantis ,
Cor mihi aperite …
«O Wunden, himmlisches Leben, Siegesmahle des liebenden Herrschers, öffnet euer Herz!»
Wie gerne hätte ich in diesem Wirrwarr aus Verdächtigungen das Herz der schönen Chormeisterin geöffnet! Doch zuvor würde ich mich Gaetano Orsinis Seele widmen. In Kürze würde ich die Gelegenheit haben, alles aus ihm herauszuholen, was ich wissen musste.
«Vier sind schon gestorben, und wenn Ugonio auch etwas zugestoßen ist, wirst du der Nächste sein!»
«Vier Tote? Ugonio? Aber wovon sprecht ihr?»
Nach der Probe hatten Simonis, Penicek und Opalinski Gaetano Orsini auf dem Nachhauseweg überrascht.
Als ich Simonis von Ugonios Verschwinden berichtet und ihm gesagt hatte, nun müsse Orsini unbedingt verhört werden, war mein Gehilfe nämlich sofort zu Opalinskis Wohnung geeilt und hatte ihn überredet, Frieden mit Penicek zu
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