Veritas
kennengelernt hatten, waren diese armen Studenten ermordet worden.
Nicht nur das: Sie waren immer dann umgebracht worden, wenn sie eine Verabredung mit mir und Simonis hatten oder wenn wir sie suchten. Gewiss, jedes Mal, wenn ich eine Leiche entdeckt hatte, war der Grieche bei mir gewesen. Doch er kannte seine Studienkameraden seit langer Zeit; er war es gewesen, der sie mir vorgestellt und mir sogar vorgeschlagen hatte, sie mit den Recherchen zu beauftragen. Warum sollte er ausgerechnet jetzt ihren Tod gewollt haben?
Atto hatte recht. Wenn du einen Schuldigen suchst, hatte er vor einigen Tagen zu mir gesagt, dann schau in den Spiegel: Alle, die eine Verabredung mit dir haben, sterben.
Jetzt sollte Ugonio zu mir kommen, doch er war noch immer nicht erschienen. Alle, die eine Verabredung mit mir haben, sterben …
20. Stunde: Die Beisln und Bierhäusl schließen ihre Pforten.
Gleich einer Meute keuchender Windhunde, welche dem flinken Fuchs nachstürmt, hielt das Orchester nur unter mühsamer Aufbietung seiner ganzen Bravour mit den gewundenen Koloraturen des Soprans Schritt. Im Fortgang der Handlung des Oratoriums sang nun Alexius’ Mutter die Arie ihrer kummervollen Empörung gegen das grausame Schicksal. Die Chormeisterin hatte ein herrliches Gebäude geschmeidiger Vokalisen errichtet, das mit seinen gewundenen Bögen besser als jedes Gemälde darzustellen und besser als jedes Poem zu erklären vermochte, wie groß der gerechte Zorn einer betrübten Mutter über die fehlgeschlagene Hochzeit des Sohnes war:
Un barbaro rigor
Fé il misero mio cor
Gioco ai tormenti
E il crudo fato vuol
Che un esempio di duol
L’alma diventi … 1 *
Während diese ingrimmigen Verse in der Kaiserlichen Kapelle widerhallten, waren mein Herz und das meiner Begleiter von ebenso großem Groll erfüllt.
Ugonio hatte sich nicht blicken lassen. Drei Stunden hatten wir auf ihn gewartet. Es war klar, dass ihm etwas zugestoßen war. Der Heiligenfledderer, den es so inbrünstig nach seinen Schlüsseln verlangte und der mich so inständig gebeten hatte, sie bis zu seiner Rückkehr wie meinen Augapfel zu hüten, hätte die Verabredung niemals freiwillig versäumt. Nunmehr das Schlimmste fürchtend, hatte ich mich zu den Proben des Heiligen Akxius begeben. Welches geheimnisvolle Verhältnis verband Gaetano Orsini mit Ugonio? Welch dunkle Drohung musste uns noch enthüllt werden? Welche neue Tragödie erwartete uns nach dem tragischen Tod von Danilo, Hristo, Populescu und Koloman Szupán?
E il crudo fato vuol
Che un esempio di duol
L’alma diventi …
Nein, wir würden nicht untätig warten. Die furiose, erhabene Musik von Camilla de’ Rossi entzündete mir Herz und Sinn, feuerte mich zur mutigen Rache an. Diesmal nahm ich sie genau in Augenschein, die italienischen Musizi der Chormeisterin, und wünschte mir, ich könne sie alle hochnotpeinlich verhören und wie aus einer Handvoll Oliven die wenig ehrenwerte Wahrheit über ihre geheimen Geschäfte aus ihnen herauspressen. Ich entdeckte das hagere Gesicht des Theorbenspielers Francesco Conti: Waren das nicht die Züge eines Mannes, der bereit ist, seine Ehre um ein paar Heller zu verkaufen? Mein Blick ging hinüber zu seiner Frau mit den runden Wangen, der Sopranistin Maria Landini, von allen Landina genannt: War sie nicht das Bild der Gewissenlosigkeit, deren finstere Geschäfte rasch fett machen? Und der Tenor Carlo Costa mit seinem Spitzbärtchen, sah er nicht ganz nach einem unverfrorenen, verschlagenen Kopf aus, der seinen Scharfsinn in den Dienst des Bösen stellt? Gaetano Orsini mit seinem Mundwerk wie ein reißender Fluss: War er nicht das Emblem des heuchlerischen Marktschreiers? Darauf beobachtete ich einen Tuttisten mit den listigen Äuglein des abgebrühten Schwindlers, Kontrabassspieler mit krummen Nasen, welche Gier verraten, und Flötisten mit dem affektierten Gebaren derer, die vertrauten Umgang mit der Lüge pflegen. Und wie das Aufstoßen nach einer schlechtverdauten Mahlzeit kehrten mir Attos Erzählungen von spionierenden Musizi wie Dowland und Corbetta ins Gedächtnis zurück, ja, und auch Atto Melanis eigene Tätigkeit als Spion und Musikus in einer Person, und ich sagte mir: Oh, du Dummkopf, du glaubst also wirklich, du kannst einem Musikus die Hand geben und siehst dich darauf nicht vom Schweißfilm des schuldbeladenen Spions besudelt? Und hart hatte ich an meiner Empörung zu beißen, als ich mir sagte: Welch ein grausames Schicksal für Euterpe und
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