Veritas
mich bewogen, den Knaben im Konvent zu lassen, in der Obhut Camillas, die großzügig eingewilligt hatte, ihn bis zu meiner oder Cloridias Rückkehr zu hüten.
Während Peniceks Kalesche hüpfend auf unser Ziel zusteuerte, zogen vor meinem geistigen Auge die toten Körper der armen Studenten vorüber: das maskenhafte Antlitz Danilos, das aufgedunsene blaue Gesicht Hristos, Dragomirs zerfleischte Scham und schließlich die Pfahlspitzen, die den armen Koloman durchbohrten. Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, im Versuch, Ekel und Entsetzen zu verscheuchen. Mit furchtbarer Gewalt hatte der Tod in der kleinen Gruppe Studenten gewütet. Wer war als Nächster an der Reihe? Penicek? Vielleicht sogar Simonis? Oder Opalinski? Ich betrachtete meinen Gehilfen, der mir gegenübersaß. Seine dümmlichen Augen waren zum Horizont gerichtet, der Blick teilnahmslos, als beschwerte ihn keine Sorge. Aber sicher trügte der Schein: Ich wusste, dass sein Ausdruck, und hätte ihn auch der grässlichste aller Schicksalsschläge erschüttert, derselbe geblieben wäre. Penicek saß abgewandt auf seinem Kutschbock; niemand befragte ihn, und darum schwieg er, eingesperrt in dem Käfig seines Daseins als Pennal, das ihn dazu verdammte, dem Schoristen ein Jahr, sechs Monate, sechs Wochen, sechs Tage und sechs Minuten lang zu dienen. Zuletzt dachte ich an Opalinski: Auch er hatte bei dem grauenhaften Anblick seines ungarischen Freundes gezittert. Dabei hatte Jan Janitzki bis vor kurzem keine Furcht gezeigt. Im Licht der darauffolgenden Ereignisse ein unerklärliches Verhalten. Ich fragte Simonis danach.
«Nun, Herr Meister, das liegt an seiner Beschäftigung. Neben dem Studium, versteht sich.»
«Was ist das für eine Beschäftigung?»
«Das ist etwas kompliziert, Herr Meister. Wisst Ihr, was hier in Wien das Quartierrecht ist?»
Seit unvordenklicher Zeit, erklärte Simonis, hatte der Kaiser das Recht, für sich und für den Hofstaat Mietwohnungen zu beanspruchen: Schon als die Kaiser der Antike durch ihre Länder reisten, erteilten sie ihren Hofmarschällen den Auftrag, Tag für Tag die notwendigen Unterkünfte für ihre Übernachtung zu requirieren. Dieser Brauch, der seinen Namen aus dem Recht auf Quartier herleitet, hatte sich im Laufe der Zeit auch in Wien verbreitet, als die Stadt Residenz eines zunehmend großen und bedeutenden Hofes wurde, wo die Zahl der Beamten, Cancellisten, Musizi, Kopisten, Tänzer, Soldaten, Truchsesse, Sänger, Poeten, Knechte, Köche, Lakaien, Kammerdiener, Gehilfen, Gehilfen der Gehilfen und Parasiten aller Art unaufhörlich wuchs.
«Viele glauben, einen Kaiserlichen Hofbeamten als Mieter zu haben sei wünschenswert und elegant. Das Gegenteil aber ist der Fall.»
Eines Tages klopfte ein Kaiserlicher Beamter mit einem Dekret in der Hand an eine beliebige Tür und verkündete dem Eigentümer, von diesem Moment an stehe ihm die Wohnung zur Verfügung. Der Besitzer und seine Familie mussten das Zusammenleben entweder akzeptieren oder binnen kürzester Zeit ausziehen. Weigerte er sich, wurden seine Wohnung oder Werkstatt oder sogar ein ganzes Haus, wenn es ihm gehörte, zwangsweise beschlagnahmt. Dann wurde ihm ohne Verhandlung von der Kaiserlichen Kammer ein lächerlich geringer Mietzins gezahlt. War der Hofbeamte nicht zufrieden, nutzte er die beschlagnahmte Wohnung nicht selbst, sondern vermietete sie weiter.
«Und das ist erlaubt?», fragte Abbé Melani.
«Natürlich nicht. Doch im Umkreis des Kaiserhofs ist alles möglich», grinste Simonis.
Der arme Wohnungseigentümer musste also mit ansehen, wie Unbekannte in seine Räume eindrangen, Möbel mitnahmen, Türen und Fenster herausrissen und häufig die Zimmer ihrerseits an nichtswürdigen Pöbel untervermieteten. Schließlich war die schöne Wohnung zu einem stinkenden Loch verkommen, wo Geschäfte jeder Art, einschließlich der Prostitution, betrieben und manchmal sogar Morde begangen wurden. Es hatte Fälle gegeben, wo die Besetzer, da sie zu faul waren, den Kamin zu benutzen, ein munteres Feuer auf dem Holzfußboden anzündeten und die ganze Wohnung in Schutt und Asche legten. Die stets hochverschuldete Kaiserliche Kammer versäumte unterdessen, die Miete zu zahlen. Und wenn der Eigentümer protestierte? Dann durfte der Hofbeamte ihn, dem alten Brauch gemäß, sogar mit Steinen bewerfen.
«Diese üble Sitte hat so um sich gegriffen», fügte mein Geselle hinzu, «dass manchmal die Kaiser selbst einschreiten und die Besetzer
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