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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Welt.»
    Wohin sollte ich mich in Erwartung des Reiches Gottes also flüchten? Albicastro, die Villa des Schiffs, der Ort Ohne Namen: Es war, als würden sich meine Erlebnisse an Attos Seite eines nach dem anderen zu einem einzigen großen Bild zusammenfügen, das jetzt, in diesen Tagen, seine Deutung fand. Bis heute hatte das Leben mich viel gelehrt und oft in Erstaunen versetzt, es hatte viele Überraschungen und böse Schläge für mich bereitgehalten, und stets war ich ihm gegenüber wie ein leerer Krug gewesen, der nur empfängt und nichts dafür gibt, außer sich immer mehr zu füllen. Dieses Leben schien sich jetzt auf sich selbst zu besinnen und in seine Vergangenheit zurückzukehren, um mir die alten Themen, die so oft gehörten Lehren erneut vorzuschlagen, als habe es nicht die Absicht, mich neue Dinge zu lehren. Doch warum?

Käyserliche Haupt-
und Residenz-Stadt Wienn
Samstag, den 18. April 1711
ZEHNTER TAG
    Versunken in meine neue stille Welt, lag ich in meinem Bett. Soeben hatte ich von Cloridia erfahren, dass am gestrigen Tage die Sonne röter denn je aufgegangen war, wie eine Ankündigung, dass Joseph nun sein letztes Blut vergießen würde. Die Wiener hatten recht daran getan, dieses Phänomen als ein Vorzeichen nahenden Unheils anzusehen. Sofort waren Sonderbotschafter zum Reichstag in Regensburg geschickt worden, um den Kurfürsten den Tod des Kaisers zu verkünden. Prompt erschienen Fliegende Blätter in großer Fülle, insonderheit italienische:

    Nel Fior degli Anni , ed in April fiorito
    Il Maggior de’ tuoi Figli , AUGUSTA , muore :
    Saggio fu nella Reggia , in Campo ardito ,
    Fù de Guerrieri , e de’ Monarchi il Fiore .
    Lagrima Austria , e nel Dominio Avito … *

    Aber ich musste an ganz andere Dinge denken: Der Grand Dauphin, der Sohn Ihrer Majestät des Allerchristlichsten Königs von Frankreich war tot. Die Nachricht war am Vortage nach Wien gelangt; heute hatte meine Frau mir die Fliegenden Blätter gebracht, die die Einzelheiten enthielten:
    Der Dauphin war ohne Kommunion und Beichte verschieden, und der Erzbischof von Paris hatte sogar vergessen, das Geläut der Totenglocken in den Kirchen anzuordnen. Doch das Erstaunlichste war, dass einer der Medizi, Monsieur de Fagon, dem König kurz zuvor versichert hatte, dass er keineswegs in Gefahr sei. Noch in der Nacht, da er starb, hatte Monsieur de Boudin, sein Leibarzt, den König während des Abendessens aufgesucht, um ihm mitzuteilen, dass die Krankheit seines Sohnes ihren normalen Verlauf nehme und es ihm von Tag zu Tag besser gehe; doch schon eine halbe Stunde später musste er verkünden, dass die Fieberanfälle mit außergewöhnlicher Heftigkeit zurückgekehrt seien und das Leben des Dauphins auf dem Spiel stehe. Der König hatte sich augenblicklich vom Tisch erhoben und war ins Zimmer seines Sohnes geeilt. Der war schon nicht mehr bei Bewusstsein und hatte keine Zeit gehabt zu beichten, nachdem er die Letzte Ölung empfangen hatte. Doch da er noch am Ostersamstag gebeichtet und kommuniziert hatte, rügte man nur die Ignoranz der Medizi, weil sie die Akzidentia, welche dieser Krankheit eignen, nicht vorhergesehen hatten.
    Die Medizi sagten später zu ihrer Entschuldigung, dass der Dauphin infolge eines Gehirnschlags durch Ersticken gestorben sei. Sein Körper war derart verfault, dass die Hofchirurgen ihn nicht hatten öffnen wollen, obwohl die inneren Organe und das Herz nach Val de Grâce gebracht werden mussten. Sie hatten Angst, an der Operation zu sterben. Und tatsächlich herrschte in dem Zimmer, wo der Dauphin verschieden war, ein so übler Geruch, dass man gezwungen war, den Leichnam zwei Tage später ohne Bestattung mit einer schlichten Kutsche nach Saint-Denis zu bringen, darinnen auch zwei Kapuziner saßen, ihn zu begleiten. Allein, sie konnten wegen des großen Gestanks nicht in der Kutsche bleiben, obwohl der Bleisarg fest verschlossen worden war.
    Der Grand Dauphin war vom französischen Volke sehr geliebt worden, die Straßen von Paris waren voll weinender Menschen aus allen Ständen. Jeder wusste, dass Frankreichs große Gelegenheit, endlich in Frieden zu leben, mit seinem Tod verlorengegangen war.

    Jetzt, wo alles vorbei war, stand mir nicht nur mein eigenes Scheitern vor Augen, sondern auch dasjenige Attos. Sein Plan (dem Krieg ein Ende zu setzen) war von den Ereignissen gänzlich überrollt worden.
    Nur eine Mission war ihm gelungen: Cloridia mit ihrer Schwester Camilla zusammenzubringen.
    Vor zwei Tagen, im

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