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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Ganze hatte also nichts mit dem Kaiser oder den Armeniern des Agas zu tun.
    Im Stillen lachte ich bitter über all diese Verwicklungen, die mich im Kreis hatten irren lassen, während sich hinter meinem Rücken die ganze Welt umzukehren begann: Die Erde würde zu Wasser werden, das Wasser zu Erde und der Himmel zu Feuer.

    Endlich verklang der Ton, der meine Gedanken betäubte, und ich hörte nur noch ein fernes Echo. Ich schlief ein.
    Als ich erwachte, erblickte ich Atto, der auf einem Sessel an meinem Kopfende saß. Nunmehr waren unsere Geschicke enger verbunden denn je. Wien hatte uns nichts mehr zu bieten, und Atto würde uns mit nach Paris nehmen. Eine großzügige Geste, die er sich noch wenige Jahre zuvor nie erlaubt hätte. Jetzt, am Ende seines Lebens, gewährte er uns diese Gunst nur allzu gerne, wie alle, die in Gottes Gnade sterben möchten. Er hatte Cloridia überzeugt, sein Angebot anzunehmen. Wir würden in seinen Diensten fürstlich entlohnt werden, und er würde dafür sorgen, dass unser Kleiner eine angemessene Ausbildung erhielt.
    «Ich bin sicher, dass der Allerchristlichste König mich bald nach Pistoia zurückkehren lassen wird; dann kommst du und deine Familie mit mir», hatte er angekündigt.

    Camilla sah ich nicht mehr. Wo war sie? Wieder betrachtete ich Cloridia und liebkoste ihre tränenfeuchten Wangen, außerstande, sie zu trösten. Sie hatte eine Schwester wiedergefunden, Fleisch von ihrem Fleische, aber sie hatte den Mann verloren, den sie kannte. Jetzt hatte sie einen anderen, weniger fröhlichen, der weniger taugte, ihr Liebe zu zeigen. Aber es war ein sehr entschlossener Mann. Schon fühlte ich in mir den Wunsch heranreifen, das Schwert zu ergreifen, ein ganz besonderes Schwert. Die Zeit dafür würde bald kommen.

    Während sich in meinem Geist die Gedanken an die Vergangenheit drängten, versank Wien in Trauer. Wäre Joseph noch am Leben gewesen, hätten an diesem Samstag Handwerker und Kaufleute mit ihren Gesellen das Vierzigstundengebet sprechen müssen. Doch jetzt stand uns etwas ganz anderes bevor. Statt uns zum Gebet zu versammeln, würden wir uns unter die Wartenden einreihen, um seinem Leichnam die letzte Ehre zu erweisen. Wir hatten es von den Schwestern der Himmelpforte erfahren: Einbalsamiert von den Leib-Barbieren und hergerichtet für die Totenwache, lag der arme geschundene Körper Ihrer Kaiserlichen Majestät auf einer Parada-Bühne in der Ritterstube der Residenz. Am heutigen Abend würde die Totenwache beginnen, freilich nur für die Angehörigen des Hochadels, welche die ganze Nacht lang und am folgenden Tag zu jeder Stunde jeweils zu zweit eintreten und ihrem Kaiser den letzten Gruß erweisen würden. Von morgen an durfte auch das Volk in die Ritterstube strömen und an den vier Altären Totenwache halten, die aus diesem Anlass bis zum 20. April, dem für die Exequien festgesetzten Tag, dort aufgestellt waren.
    Und endlich erfuhr ich, wo Camilla war. Täglich zwischen zehn und elf sowie zwischen achtzehn und neunzehn Uhr sollten die Hofmusizi vor dem kaiserlichen Leichnam den fünfzigsten Psalm auf Lateinisch singen. Auf ausdrücklichen Wünsch von Joseph, der dies alles vor seinem Ende in geistiger Klarheit angeordnet hatte, würde die Chormeisterin sie dirigieren.
    Atto hatte Camilla gebeten, ihn mitzunehmen, und eben kehrte sie zurück, um ihn abzuholen. Der Abbé wollte sich von mir verabschieden, doch ich protestierte mit wilden Handbewegungen: Wie konnte ich denn fehlen bei dem letzten Gruß an den Kaiser, den ich hatte sterben sehen? Ich stand aus meinem Bett auf, entwand mich dem liebevollen Griff Cloridias, legte meine besten Kleider an und schloss mich ihnen trotz ihrer Warnungen an.

    Während wir auf der Straße warteten, dass Camilla uns mit der Kalesche abholte (sie wollte uns nicht einen Schritt zu Fuß machen lassen), kam Atto der Frage zuvor, die ich ihm hatte stellen wollen und die er durch meinen Blick erraten hatte:
    «Nein, ich gehe keinerlei Risiko ein, wenn ich mich blicken lasse. Der Plan der Verfluchten ist gelungen, der Kaiser ist tot. Und nach einem Staatsverbrechen pflegen die Meuchelmörder und ihre Auftraggeber immer zu verschwinden. Einige gehen fort, wie Eugen, andere bleiben, doch versteckt, um die Situation zu kontrollieren, aber generell gilt: zwei bis vier Tage lang gar nichts tun. Sie werden sehen, dass wir Totenwache am Sarg halten, aber sie werden nicht einschreiten. Sie wissen, dass wir nun nichts mehr unternehmen

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