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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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anderen zur Verantwortung zöge, die Rädelsführer des universalen Verbrechens, die immer überleben: Palatino, Penicek und alle anderen Diener, die Folterknechte und Satrapen, die Sklaven Beelzebubs? Ach, könnten wir sie doch in ihren Tempeln einschließen und dort durch Losentscheid jeden Zehnten zum Tode verurteilen, um sie dann aber nicht zu töten, sondern zu ohrfeigen! Und ihnen zu sagen: Wie, das habt ihr nicht gewusst? Ihr habt nicht bedacht, dass es nach einer Kriegserklärung unter den zahllosen Möglichkeiten der Gräuel und der Schande auch das Unglück gibt, dass Kindern die Muttermilch fehlt? Wie, ihr habt die Trostlosigkeit einer einzigen angstvollen Stunde während jahrelanger Gefangenschaft nicht ermessen? Ihr habt das Leid eines sehnsuchtsvollen Seufzers, einer besudelten, verletzten, gemordeten Liebe nicht erwogen? Und ihr habt nicht bemerkt, wie die Tragödie sich in eine Farce verwandelte oder – weil das gegenwärtige Grauen sich immer mit dem alten Wahn formaler Korrektheit verbindet – in eine komische Oper? Freilich würde es eine jener widerwärtigen komischen Opern von heute sein, deren Text eine Beleidigung und deren Musik eine Qual ist.

    Im Schatten des neuen Dämons aus England, des Finanzwesens, wird die Natur von einer hysterischen Betriebsamkeit vergewaltigt. Deren bewaffneter Arm ist das Papier. Die Zeitungen haben in diesen letzten Jahren eine wahre Explosion erlebt, und nichts deutet darauf hin, dass sie bald enden wird. Und ich wollte als junger Mensch Gazettenschreiber werden! Zum Glück hat Abbé Melani in jenem langvergangenen Jahr 1683 dafür gesorgt, dass mir die Lust an dieser Tätigkeit verging.
    Maschinen sind sie, die Zeitungen, und das Leben der Menschen wird ihnen zum Fraß vorgeworfen. Das Leben ist natürlich nur das, was es in einer Zeit wie dieser, einer Maschinenzeit, sein kann; und so entstehen dumme, närrische Hervorbringungen, und alle tragen das Brandzeichen der Vulgarität.
    Papier kommandiert den Waffen und hat uns zu Invaliden gemacht, noch bevor die Kanonen ihre ersten Opfer fanden. Waren nicht schon alle Reiche der Phantasie geplündert, als das in den Druckstock gepresste Blatt der bewohnten Welt den Krieg erklärte? Es ist nicht so, dass die Druckerpresse die Maschinen des Todes in Gang gesetzt hätte. Doch sie hat unsere Herzen entleert, sodass wir uns nicht mehr vorstellen können, wie die Welt ohne Zeitungen und ohne Krieg aussähe. An ihr haben sich Völker berauscht, und die Könige der Erde haben Unzucht mit ihr getrieben, und wir alle fielen durch die Schuld dieser Babylonischen Hure, die – gedruckt und in allen Sprachen der Welt verbreitet – uns einredete, dass wir einander Feinde seien und dass es Krieg geben müsse.

    Es ist getan. Ich habe geschrieben. Ich habe meine Pflicht erfüllt, bis zum Äußersten. Meine Bücher kämpfen gegen die Zeitungen. Das ist gut so. Niemand kann mehr leugnen, dass ich jetzt zu meiner Vollkommenheit gelangt bin. «Der Stein, der von den Bauleuten verworfen wurde, ist zum Eckstein geworden», heißt es im Psalm, und Simonis hatte es in jener Nacht im Ort Ohne Namen zum Derwisch gesagt.
    Gleich dem Sonnenwagen, der im Galopp über den Himmel schießt, bohren sich andere Worte, die Simonis sprach, in meine Gedanken: Das Spiel ist nie ganz aus, die Welt ist der Prüfstein, den der Höchste für die Seelen bereitet hat, darum gehören wir alle zu Gottes Plänen, auch seine Feinde. Zu früh vielleicht habe ich diese Worte vergessen, die ja sogar Palatino einen Schauder einjagten. Es tut mir leid, Simonis, meine Verzweiflung – die entfesselte Kassandra der Letzten Tage der Menschheit – hindert mich daran, deine Worte in mir reifen zu lassen, zumindest jetzt und heute.
    Derweil rette ich mich, ich allein, in mein Schweigen, durch mein Schweigen, das mich so vollkommen gemacht hat, wie die Zeit es will.
    Nur Cloridia hat es allmählich verstanden, heiter lächelt sie mich an, und unsere Umarmungen haben die Glut von einst. Meine braven Schwiegersöhne hingegen wollen es nicht begreifen. Sie kommen jeden Tag, um mich aus dem Schweigen zu schütteln, in das ich, ein Ding unter den Menschen, nunmehr absolut eingeschlossen bin. Sie möchten, dass ich über mein Los weine, dass ich wenigstens mit den Augen meinen Kummer oder Zorn bekunde, sie möchten, dass auch ich wie sie glaube, das Leben sei dort draußen, im Überfluss der Welt. Ich zucke nicht mit der Wimper, stecke die Feder zurück in das Tintenfass und

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