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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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nicht genug Kraft haben werde, diese schon so fernen Zeiten noch lange bei mir zu behalten. Meist arbeite ich, wenn alles um mich herum schläft. Ich werde viele Nächte brauchen, bis der Abdruck der Zeit auf dem Papier erscheint.
    In unserer Sinneswahrnehmung gibt es viele Irrtümer, die das wirkliche Leben verfälschen, wenn es denn ein solches gibt. Bei der möglichst exakten Transkription, die ich zu geben bemüht bin, verändere ich die Herkunft von Farben und Klängen nicht, denn ich verzichte darauf, sie von ihrer Ursache zu trennen. Ich beschreibe die hundert Masken, die jedes Gesicht besitzt; manche Personen stelle ich mit jeder noch so geringfügigen Geste dar, weil sie die Ursache tödlicher Erschütterungen war und unsere Gewissheiten irritierte, da sie das Licht des moralischen Himmels veränderte. Bei der Niederschrift eines Universums, das als Ganzes nachgezeichnet werden muss, versäume ich nicht, auch den Leser auftreten zu lassen, doch nicht als körperliche Erscheinung, sondern in Gestalt seiner Jahre, die er, ohne sich dessen immer bewusst zu sein, mit sich schleppt, wenn er sich durch das Leben bewegt. Eine Mühsal, die ihm fortwährend beschwerlicher wird und ihn am Ende überwältigt.
    Wir alle haben nicht nur einen Platz im Raum, sondern auch und vorzüglich in der Zeit. Das ist es: Diese Idee, dass die Zeit sich in uns verkörpert, dass die gelebten Jahre sich von uns nicht trennen lassen, das ist die Wahrheit, die alle ahnen und die ich hervorzukehren suche. Und an dem Tag, an dem der Herr über mein Schicksal «den Bogen gespannt» und die Spreu vom Weizen getrennt hat, wird er Rechenschaft von mir fordern, und ich werde die Frucht meiner Arbeit in Seine Hände geben.

    Ein Tintenfass und ein Blatt Papier: Ein anderes Mittel, mich den Menschen mitzuteilen, habe ich nicht mehr. Meine Stimme ist nicht zurückgekehrt, ich bin für immer stumm geblieben. An einer Stelle dieser Aufzeichnungen steht geschrieben: «Ich litt an meinem Schweigen, in das jeder eintreten konnte wie an einen Ort verbürgter Gastfreundschaft. Heftig wünschte ich mir, mein Schweigen würde sich ganz um mich herum verschließen.» Nun, es hat sich verschlossen. Darum könnte ich ihm besser gar nicht dienen, diesem schwarzen Strich auf weißem Grund, der mich an Hristos Schachbrett erinnert, meinen Lebensretter.
    Die Feder ist meine Stimme. Zwar helfe ich meinen Schwiegersöhnen gelegentlich im Weinberg, doch Schreiben ist das einzige Gewerbe, dem ein Stummer nachgehen kann. Ein Drucker in Amsterdam ist so freundlich, meine Bücher zu drucken und zu verkaufen. Dorthin schicke ich die Manuskripte, in das freie Holland: «Zur Fleißigen Biene» lautet die Adresse, und der Gedanke, dass dies das Sinnbild meiner bescheidenen, aber unermüdlichen Arbeit ist, gefällt mir.

    Manchmal packt mich wieder der alte Kummer. Ich hatte Augen, die Welt mit einem Blick zu sehen, der sie so werden ließ, wie mein prophetischer Blick sie zuvor schon sah. Wenn dies nach der Himmlischen Gerechtigkeit so sein musste, dann war es jedoch eine Ungerechtigkeit, mich nicht schon vorher zu vernichten. Das sage ich mir immer wieder aus tiefster Seele.
    Habe ich diese Beschwichtigung meiner Todesangst verdient? Was ist es, was da in meinen Nächten wächst? Warum wurde mir nicht die Kraft gegeben, die Sünde dieser Welt mit einem Axthieb auszumerzen? Werden meine Bücher das Gewissen der Menschen erreichen? Warum besitze ich nicht die Kraft, die geschändete Menschheit zum Schreien zu zwingen? Warum ist mein Antwortschrei, den ich Feder und Papier anvertraue, nicht stärker als das gellende Kommando, das die Seelen auf dem ganzen Erdenrund beherrscht?
    Ich bewahre Dokumente auf für eine Zeit, die sie nicht mehr verstehen wird, sodass sie sagen wird, es seien Fälschungen. Aber nein, die Zeit, wo man so spricht, wird nicht kommen. In meinen Büchern schreibe ich über eine Tragödie, deren unterlegener Held die Menschheit ist, deren tragischer Konflikt zwischen Welt und Natur mit dem Tod endet. Ach, ich habe keinen anderen Helden als die Menschen, darum hat dieses Drama auch keinen anderen Zuschauer. Doch woran stirbt mein tragischer Held? Er geht an einer Situation zugrunde, die ihn als Rausch und als Zwang überwältigte.
    Doch … was wäre, wenn die Menschen eines Tages durch Göttliche Gnade heil aus diesem Abenteuer herauskämen – wie verkümmert, verarmt, gealtert auch immer – und ein höchstes Gesetz der Vergeltung sie einen nach dem

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