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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Handelte es sich um das Werk geschickter Einbalsamierer?

    Aus dem in lateinischer Sprache verfassten medizinischen Tagebuch des Doktors Franz Holler von Doblhof (Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien, Familienakten, Karton 67) geht hervor, dass der Kaiser schon beim Auftreten erster Symptome Schleim und Blut spuckte. Unmittelbar nach seinem Tod, heißt es in diesem Tagebuch, «tropfte aus beiden Nasenlöchern und aus dem Mund lang anhaltend Blut». Der Hals sei geschwollen und « atro livore soffuso » gewesen, also dunkelblau durch innere Blutungen. Bei der Autopsie, die Holler selbst durchführte, werden auch Leber und Lungen als «blau und brandig, ihrer natürlichen Farbe beraubt» beschrieben ( « amisso colore naturali , lividum et gangrenosum » ) : Also gab es auch hier Blutungen. Wegen des unerträglichen Gestanks wurde die Autopsie abgeschlossen, ohne den Schädel zu öffnen.
    Eine solche medizinische Beschreibung wird heute als «hämorrhagische Variola» klassifiziert, eine besonders ansteckende Variante mit hoher Sterblichkeitsrate. Merkwürdig ist jedoch, dass es diese Pockenart nicht immer gegeben hat.

    Vor dem Tod Josephs I. ist in keiner einzigen medizinischen Abhandlung je vom hämorrhagischen Verlauf der Pocken die Rede.
    Die ersten Mediziner, die von Pocken sprachen, waren vor allem Galen und dann Ärzte des 10. Jahrhunderts: der Perser Rhazes, Ali Ben el Abbas und Avicenna, außerdem im 11. Jahrhundert Constantino l’Africano, der Schreiber von Robert Guiscard. Sie alle (vgl. die vollständigen Titel ihrer Werke in der Bibliographie) ergehen sich in langen, ausführlichen Beschreibungen der Pocken, ihrer möglichen Komplikationen und Krankheitsverläufe, doch keiner erwähnt die Möglichkeit von Blutungen. Im Gegenteil: Der Verlauf der Pocken wird als normalerweise gutartig beschrieben; nur in einigen Fällen führt er bei bereits geschwächten Patienten zum Tode. Das gleiche Bild bietet sich bis zum 16. und 17. Jahrhundert: Ambroise Paré, Niccolò Massa, Girolamo Fracastoro, Alpinus, Ochi Rizetti, Scipione Mercuri und Sydenham, um nur einige der bekanntesten Namen zu nennen, widmen den Pocken lange Kapitel ihrer Werke, doch von der hämorrhagischen Variola findet sich keine Spur. Auch diese Ärzte beschreiben die Krankheit als weit verbreitet und ungefährlich: Mit dem Tode endete sie nur bei plötzlich auftretenden Pandemien, die durch Krieg und Hungersnot ausgelöst wurden. Medizinische Traktate beschreiben die Pocken gewöhnlich in den Kapiteln, die Kinderkrankheiten behandeln, und ordnen sie oft den Windpocken und Masern zu. In seiner Abhandlung über Pocken und Masern trifft Rhazes eine sehr detailgenaue Unterscheidung zwischen den beiden Krankheiten: «Unruhe, Übelkeit und Angstzustände sind bei den Masern häufiger als bei den Pocken; Rückenschmerzen sind kennzeichnender für die Pocken.» Auch Ambroise Paré (Oeuvres , Lyon 1664, 10. Buch, Kap. 1-2) lässt die Pocken nur in einem gemeinsamen Kapitel mit den Masern auftreten, wo er sich ausführlich den Merkmalen widmet, an denen man beide Krankheiten unterscheiden kann. Für uns klingen solche Präzisierungen ganz und gar unverständlich: Heute unterscheiden sich die Pocken leider stark von den fast immer harmlosen Masern. Die entsetzlichen Pockenpusteln und das gesamte schwerwiegende Krankheitsbild haben nichts mit den roten Pünktchen der Masern und den begleitenden Symptomen zu tun. Auch Sydenham stellte einen Vergleich zwischen Pocken und Masern an, ein Zeichen dafür, dass die Pocken vom 10. bis zum 17. Jahrhundert wesentlich unverändert blieben, das heißt, sie waren eine ansteckende Krankheit, die den Masern ähnelte. Sogar Josephs Tochter Maria Josepha hatte sich im Januar 1711, drei Monate vor dem Vater, mit Pocken infiziert und war davon genesen. Und auch diesmal ohne jedes Anzeichen von Blutungen.

    Das erste Zeugnis für hämorrhagische Pocken, das uns überliefert wurde, ist kein anderes als der medizinische Befund Josephs I.
    Zwei Jahre später, 1713, berichtet der griechische Arzt (andere meinen, er kam aus Bologna) Emanuele Timoni in seinem Traktat mit dem Titel Historia Variolarum quae per insitionem excitantur zum ersten Mal von einer neuen, in Konstantinopel gebräuchlichen Praxis: der Inokulation unter die Haut.
    Vorweg sei erklärt: Der Begriff Inokulation bezeichnet nichts anderes als die herkömmliche, alte Form der Immunisierung, wie sie praktiziert wurde, bevor der englische Arzt Edward Jenner Ende des 18.

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