Veritas
hatte in den langen Jahren der Regentschaft sehr gelitten. Der bösartige John Law, der Erfinder der Banknoten, von dem der Schornsteinfeger erzählt, hatte das Reich in einen nie da gewesenen wirtschaftlichen Ruin getrieben.
Doch früher oder später bewahrheiten sich gewisse «Prophezeiungen» immer … Mit 64 Jahren hatte Ludwig XV keine tapferen Ammen mehr, die ihn beschützen konnten.
Sein Tod erinnert stark an den Josephs L: Beide waren Feinde der Jesuiten (Ludwig XV unterdrückte die Gesellschaft Jesu sogar), und auch Ludwig XV musste sich, wie Joseph, von einem Prediger die leider zutreffende Ankündigung seines Todes gefallen lassen. Am 1. April 1774, einem Gründonnerstag, zeigt der Bischof von Senez von der Kanzel aus auf den König und ruft aus: «Noch vierzig Tage, und Ninive wird fallen!» Genau vierzig Tage später, am io. Mai, tut Ludwig XV. seinen letzten Atemzug (Pierre Darmon, La variole , les nobles etles princes , Brüssel 1989, S. 93-94).
Noch eine Woche zuvor hatte er verwundert seine Pusteln betrachtet und unaufhörlich gemurmelt: «Wenn ich sie nicht schon gehabt hätte, würde ich schwören, dies sind die Pocken.» Am 3. Mai begriff er: «Es sind die Pocken … Aber das sind ja die Pocken!» Vor der schweigenden Zustimmung der Anwesenden wandte er das Gesicht ab und sagte: «Das ist wirklich unglaublich.»
Viele Aspekte machen diesen Tod zu einer bösen Posse: nicht zuletzt der, dass Ludwig XV die Inokulation immer hartnäckig bekämpft hatte.
Nachdem unsere historischen Forschungen über die Pocken abgeschlossen waren und wir die Meinung Doktor Buchwalds über den Tod Josephs I. gehört hatten, sind wir zur letzten Phase übergegangen: der Suche nach einem Spezialisten für pathologische Medizin, der unsere Forderung, den Leichnam des Kaisers exhumieren zu lassen, unterstützt und bereit ist, ihn zu untersuchen.
Von Anfang an verwarfen wir die Ärzte, die für ihre Exhumierungen berühmt sind. Wenn sie die Leichen historischer Persönlichkeiten exhumieren, gilt ihr Hauptinteresse der Forschung nach neuen Impfstoffen, und meistens werden sie von der pharmazeutischen Industrie gesponsert.
Also wandten wir uns an mehrere italienische und österreichische Universitätsdozenten. Doch die Angelegenheit interessierte niemanden; im Gegenteil, einige zeigen sich über unsere Anfrage verärgert.
Das kannten wir schon: Als es 2003 darum ging, graphologische Gutachter zu finden, um die Unterschrift unter dem Testament des spanischen Königs Karl II. von Habsburg untersuchen zu lassen, ergriff der größte Teil der Experten alsbald die Flucht, denn sie hatten Angst, dem derzeitigen spanischen König Juan Carlos von Bourbon Unannehmlichkeiten zu bereiten. Man kann sich vorstellen, wie die Reaktion jetzt aussehen wird, wo es um Pocken geht …
Einstweilen richteten wir per Einschreiben eine Anfrage an das Denkmalamt in Wien, mit der Bitte, die erforderlichen Formalitäten für eine Exhumierung des Leichnams von Joseph I. einzuleiten. Wir wussten, dass dies ein langwieriges Verfahren sein würde, und wir wollten keine Zeit verlieren.
In der Hoffnung, jemanden zu finden, der etwas mutiger ist, wandten wir uns an Bekannte und gelangten auf diesem Weg zu Professor Andrea Amorosi, einem Pathologen, der aus derselben Region stammt wie einer der beiden Autoren. Amorosi arbeitet in der Abteilung für experimentelle und klinische Medizin der Universität «Magna Grecia» von Catanzaro in Süditalien. Die ersten Kontakte verliefen überaus positiv. Professor Amorosi ist ein gewissenhafter und hilfsbereiter Mensch. Nachdem er sämtliche Unterlagen geprüft hatte, die wir ihm geschickt hatten, war er sehr angetan von der Idee einer Exhumierung des Leichnams Josephs I. Von ihm erfuhren wir auch, dass die Pocken zu den Erregern der Klasse A gehören, die im Kampf gegen den Bioterrorismus unter «besonderer Beobachtung» stehen. Unsere Initiative könnte also für beträchtliches Aufsehen in der wissenschaftlichen Welt sorgen.
Wir fragten ihn, ob es möglich sei, nach so langer Zeit zu beweisen, dass Joseph vergiftet oder künstlich mit den tödlichen Pocken infiziert wurde oder dass er wirklich an einer natürlichen Pockenerkrankung starb. Falls Gift verwendet wurde, lautete seine Antwort, dürfe es nicht allzu schwierig sein, denn damals habe man vorwiegend Metalle benutzt, die mit den modernen Untersuchungsmethoden von heute erkannt werden könnten. Die Gifte, die man heute einsetze, hinterließen jedoch
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