Veritas
osmanische Heer alles andere als stark und gut gerüstet sei. Unter den Türken gebe es viele unbewaffnete Soldaten und vor allem unzählige blutjunge Männer, die in Todesangst vor dem christlichen Feind erzitterten.
Und so erklärte sich Maximilians Schweigen: Ilsung hatte ihn verraten, Ungnad ebenfalls. Wem konnte er noch trauen?
«Von seinen eigenen Männern verraten», bemerkte ich fassungslos und nunmehr ganz im Banne dieser sonderbaren Geschichte. Ich achtete nicht auf den Ruß, der mir in großen Batzen entgegenkam, als ich die Nase in das Innere eines der Rauchfänge steckte, um zu überprüfen, wie viel Schutt wir abtragen mussten. «Aber warum denn?»
«Wartet, Herr Meister, die Geschichte ist noch nicht zu Ende», hielt Simonis mich zurück. «Es gab noch etwas anderes, das Maximilian mit Arglist verschwiegen wurde.»
Es war das wichtigste Ereignis des Krieges gewesen. Noch vor dem Fall Szigetvárs, am 5. September, hatte Süleyman der Prächtige, fünfundsiebzig Jahre alt und unter schwerer Gicht leidend, die Seinen mitten im Feldzug unerwartet im Stich gelassen: Er war gestorben.
«Gestorben? Und der Kaiser erfuhr nichts davon?»
«Absolut gar nichts. Gut zwei Monate lang. Und das, obwohl David Ungnad ständig zwischen den Kaiserlichen und den Türken hin- und herpendelte …»
Die Nachricht vom Tod des Sultans wurde so sorgsam geheim gehalten, dass Maximilian erst Ende Oktober davon erfuhr. Und um die Wahrheit zu sagen, bedeutete eher dies sein Ende als der Fall Szigetvárs. Wenn man nämlich sofort vom Tod des Sultans gewusst hätte, hätte das christliche Heer von der Bestürzung der Feinde profitieren und, noch bevor sie wieder zu sich kamen, gezielt zuschlagen können, was mit Sicherheit zu einem Sieg geführt hätte. Aber Maximilians Informanten schwiegen. Ein Fremder musste ihn vom Tod Süleymans in Kenntnis setzen: der Botschafter der Republik Venedig. Sogar im weit entfernten Innsbruck war die Nachricht drei Tage früher angekommen als im kaiserlichen Lager, das doch nur wenige Meilen vom osmanischen Lager trennten.
Süleyman war bereits sterbenskrank in Konstantinopel aufgebrochen; aber das hatte David Ungnad dem Kaiser nicht berichtet …
«Dabei war der Kniff, den die Türken anwandten, nicht mehr als ein alberner Jungenstreich: Sie hatten einen alten Mann in Süleymans Bett gesteckt, der seine Stimme nachahmte und Befehle gab, in Wirklichkeit aber die Anweisungen der Minister befolgte», lachte Simonis sarkastisch.
Der Grieche war in Rage geraten ob dieser zweihundert Jahre alten Geschichte; mit dem Gesichtsausdruck eines Idioten, doch mit wachem Geist und glühendem Herzen, empörte er sich über den Verrat an jenem Kaiser aus alter Zeit. Noch hatte er mir indes nicht erklärt, warum das alles geschehen war und vor allem, was es mit dem Ort Ohne Namen zu tun hatte.
«Ich nehme an», warf ich ein, «dass die Männer, die ihn verraten hatten, nach der öffentlichen Rede Maximilians ein böses Ende nahmen.»
«Ganz im Gegenteil, Herr Meister, ganz im Gegenteil. Seine Rechtfertigungen wurden schlicht nicht beachtet. Ilsung, Ungnad und ihre Anhänger blieben an der Macht. Es war, als hätte der Kaiser nie gesprochen. Man gab weiterhin ihm die Schuld an der Niederlage. Zwar wurden die bösen Bemerkungen nur geflüstert, doch Maximilian fand sie eingemeißelt in den Gesichtern seiner Freunde.»
«Das ist unglaublich», sagte ich.
«Die Herzen des Volkes und des Hofstaats waren zu sehr von Wut und Enttäuschung erfüllt, um besonnen Recht und Unrecht abzuwägen oder sich auch nur die Tatsachen anzuhören. Maximilians Feinde wussten das und nutzten es für ihre Zwecke. Es war ein geschicktes Spiel der Aufwiegelung.»
«Aber wer hatte es in Gang gesetzt? Und warum?»
«Wer? All jene Männer, denen er am meisten vertraute. Warum? Aus Rache. Es war der erste zahlreicher Vergeltungsschläge, die zur Erbauung dieser Stätte und ihrer sofortigen Ablehnung führten und den Kaiser selbst ins Grab brachten.»
Maximilian, fuhr Simonis fort, war nur dank jener Kräfte Kaiser geworden, die der Römischen Kirche feindlich gesinnt waren, allen voran die ketzerischen Reichsfürsten. Er hatte sich mit lutherischen Denkern und Gelehrten umgeben, doch nur wegen der geistigen Nähe, die er zu ihren freisinnigen und neuartigen Ideen empfand, gewiss nicht, um den Stellvertreter Christi zu bekämpfen oder zu schwächen. Leider waren die Bestrebungen jener Personen, denen der Kaiser sein Vertrauen
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