Veritas
sie.»
Simonis hatte auf meinem Gesicht eine wirre Häufung von Fragen gelesen, und während wir nun die kleine, aber gehaltvolle Jause aus Roggenbrot, gekochten Eiern, Sauerkraut und Würsten zu uns nahmen, erzählte er mir vom Kaiser Maximilian II., welcher vor anderthalb Jahrhunderten den Ort Ohne Namen, genannt Neugebäu, hatte errichten lassen.
Schon als junger Mensch hatte sich Maximilian, da ihm die Verderbtheit der Römischen Kirche zuwider war, der Lehre der Protestanten geöffnet. Er hatte lutherische Prediger, Ratgeber, Heilkundige und Männer der Wissenschaft an den Hof geholt, und man befürchtete, er werde früher oder später zu ihrer Fahne überlaufen. Die Auseinandersetzungen mit seinem Vater Ferdinand L, einem überzeugten Katholiken, waren so erbittert, dass der erlauchte Erzeuger drohte, ihm die Nachfolge auf den Kaiserthron zu verweigern. Schließlich ward Maximilian durch die starken Pressionen des tiefkatholischen Spaniens und des Heiligen Stuhls gezwungen, öffentlich zu geloben, dass er immer am offiziellen römischen Glaubensbekenntnis festhalten werde. Was ihn freilich nicht daran hinderte, weiterhin mit den Anhängern Luthers zu verkehren.
Dies hatte die protestantischen Fürsten und all jene im Reich, denen die Kirche Petri verhasst war, mit Hoffnung erfüllt: Sollte sich in Maximilian endlich ihr Traum von einem Kaiser verkörpern, der dem Papst den Gehorsam versagte?
«Schädlicher aber als die Ketzer selbst – so dachte Maximilian, der den Frieden liebte – war der Krieg, den sie entfesselt hatten. Denn hinterhältiger als der Verrat an der Religion ist der Verrat an Mitmenschen; und grausamer als das Schwert ist die Wunde, die es schlägt.»
So beschritt er, nachdem er den Thron bestiegen, einen neuen Weg: Statt sich tätig auf die Seite der Römischen Kirche zu schlagen und am Kampf gegen die Ketzer teilzunehmen, beschloss er, dem Frieden und der Verständigung zu dienen. Seine Vorgänger waren katholisch gewesen, während der größte Teil der Reichsfürsten den Protestanten nahestand? Er würde sich weder mit den einen, noch mit den anderen verbrüdern, er würde einfach ein Christ sein, aber weder katholisch noch lutherisch. Im verschlagenen und unbarmherzigen Jahrhundert Machiavellis hatte er beschlossen, auf seine Weise listig zu sein: Statt Gelöbnisse zu machen, würde er schweigen; statt zu handeln, würde er Zurückhaltung wahren.
So wurde Maximilian, der Gerechte, zu Maximilian, dem Mysteriösen: In beiden Lagern vermochte niemand in seinem Herzen zu lesen, keiner durfte ihn zu seinen Freunden zählen. Er wusste wohl, dass die protestantischen Fürsten ihn einen Verräter, einen Feigling und Heuchler heißen würden. Er hatte all jene enttäuscht, die gehofft hatten, dass der Katholizismus endlich geschwächt würde. Und dennoch gab er nicht nach und diente allein seinem eigenen Wunsch nach Frieden.
«Er versetzte all seine Anhänger in Staunen», schloss Simonis.
Auch ich staunte nicht schlecht: Mein leicht närrischer griechischer Gehilfe besaß mithin, so er nur wollte, Geistesklarheit im Überfluss. Es machte einen recht kuriosen Eindruck, so viel Scharfsinn aus seiner tölpelhaften Stimme zu vernehmen! Ganz wie der Kaiser, von dem er berichtete, wusste man auch bei Simonis nie, auf welcher Seite er stand, ob er zu den Gesunden oder den Idioten gehörte. Und noch begriff ich nicht, worauf er mit seiner Rede eigentlich hinauswollte.
«Simonis, du hast eingangs von Rache gesprochen», erinnerte ich ihn.
«Alles zu seiner Zeit, Herr Meister», erwiderte er unbotmäßig und biss in sein Brot.
Maximilians Thronbesteigung, fuhr der Grieche fort, hatte in ganz Europa große Erwartungen geweckt. Die venezianischen Botschafter, seit jeher die besten Kundschafter ihrer Landsleute, versicherten, er sei von stattlicher und wohlproportionierter Statur, auch habe sein Aussehen eine wahrhaft königliche, ja kaiserliche Grandezza, da sein Antlitz überaus würdevoll sei, wenngleich von so großer Liebenswürdigkeit gemildert, dass es den, der es erblickt, zu höchster Ehrerbietung bewege.
Wer sich ihm genähert hatte, beteuerte, er sei von lebhaftem Geiste und weisem Urteil. Empfing er jemanden, und sei es zum ersten Male, erfasste er augenblicklich dessen Wesen; und kaum hatte man das Wort an ihn gerichtet, wusste er sogleich, worauf der andere hinzielte. Seinem Ingenium verband sich ein exzellentes Gedächtnis; wenn jemand nach langer Zeit erneut bei ihm vorstellig
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