Veritas
Gesandtschaft von Konstantinopel herzuschicken, um einen bereits unterzeichneten Vertrag zu bestätigen? Haben sie denn keine Forderungen gestellt oder feindliche Absichten gegen das Reich verkündet?»
«Im Gegenteil. Die Osmanen haben im Moment ganz andere Sorgen: Sie sind in Streit mit dem Zaren verwickelt.»
«Die Sache hat nicht Hand noch Fuß. Glaubst du, sie sind in Wahrheit aus einem anderen Grund gekommen?»
Cloridia sah mich an und erwiderte mit ihrem Blick meine Ratlosigkeit.
«Ich habe alle gefragt, glaube mir, sogar diese Trunkenbolde aus dem Gefolge des Agas», sagte sie. «Aber weißt du, was sie antworten? Soli soli soli ad pomum venimus aureum ! Und dann lachen sie und trinken. Sie äffen ihren Herren nach und verstehen nicht einmal, was sie sagen.»
«Und die Bediensteten des Palasts? Vielleicht haben sie etwas von den privaten Gesprächen zwischen Eugen und dem Aga aufgeschnappt.»
«Ach, glaube doch nur nicht, es habe ein privates Gespräch gegeben!»
«Wie bitte?»
«Du hast richtig gehört. Eugen und der Aga haben sich zu keinem Zeitpunkt gemeinsam zurückgezogen, sie haben immer und ausschließlich vor der Zuhörerschaft konversiert.»
«Also haben sie wirklich über nichts anderes gesprochen als über den alten Vertrag von Karlowitz?»
«Vollkommen unerklärlich, findest du nicht auch?», sagte sie nachdenklich. «Denk nur», fügte sie dann mit leiserer Stimme hinzu, «sogar im Diarium des Prinzen über die Gesandtschaft findet sich nichts außer dem Blatt, welches ihm der Aga gab. Und darauf steht eben nur dieser eine Satz: Soli soli soli adpomum venimus aureum .»
«Das alles ist verrückt», bemerkte ich.
«Vielleicht verbirgt sich etwas hinter diesem Satz, was wir nicht wissen», überlegte meine Gattin. «Man hat mir erklärt, dass der pomum aureum , also der Goldene Apfel, der Name ist, den die Türken Wien geben.»
«Ja, ich weiß, gerade heute hat Simonis es mir erklärt», bestätigte ich und berichtete ihr in groben Zügen, was ich von meinem Gehilfen über die Geschichte des Ortes Ohne Namen, Maximilian II. und Süleyman gehört hatte.
«Unglaublich. Aber woher mag der Name ‹Goldener Apfel› kommen?»
«Ich habe leider keine Ahnung.»
«Vielleicht steckt gerade in diesem Namen der Schlüssel zum Verständnis des ganzen Satzes», mutmaßte Cloridia.
Tatsächlich war das alles äußerst rätselhaft. Wahrscheinlich hatte man befürchtet, die Osmanen würden bewaffnet in Wien ankommen oder zumindest etwas Schreckliches im Schilde führen. Dagegen versicherten diese den Kaiserlichen die Ehrlichkeit ihrer Absichten, indem sie öffentlich verkündeten, sie seien allein gekommen. Das erklärte freilich noch nicht, warum der Besuch so eilig war. Mehr als alles andere aber widersprach ihren angeblich friedlichen Absichten, dass sie die Kaiserstadt mit dem nicht gerade vertrauenerweckenden Namen «Goldener Apfel» bezeichnet hatten, jenem Appellativum also, welches betonte, dass Wien immer noch im Visier der Eroberungspläne der Hohen Pforte lag. Nicht zufällig erwies Prinz Eugen ihnen die außergewöhnliche Ehre, sie drei Tage lang in seinem Palais gastieren zu lassen …
«Und woher weißt du eigentlich, was in dem persönlichen Diarium deines Herrn steht?», fragte ich mit vor Staunen geweiteten Augen, da mir Cloridias Worte plötzlich wieder in den Sinn kamen.
«Das ist doch klar: Die Frau seines Leibkämmerers hat es mir gesagt. Das ist jene, der ich versprochen habe, sie ohne Bezahlung zu entbinden.»
Obwohl meine Gemahlin nämlich in Wien nicht als Gevatterin wirken konnte, ein Gewerbe, das der Erteilung einer regulären Genehmigung bedurfte (wie fast alles in dieser Stadt), hatte sie dennoch nie aufgehört, Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen beizustehen. Eine überaus gern entgegengenommene Hilfe, zumal die besten Hebammen der Stadt, mithin jene, die Cloridia ebenbürtig waren, ein Vermögen kosteten.
«Doch jetzt spute dich», drängte sie, «denn Camilla erwartet uns.»
20. Stunde: Die Wirtshäuser schließen ihre Pforten.
«Vor der Ehe ist nichts Interessantes in meinem Leben passiert», hub die Chormeisterin an.
Wir befanden uns in der Erhabenen Kaiserlichen Hofkapelle bei der Probe zum Heiligen Alexius , die gerade durch eine Pause unterbrochen wurde. Da nur mein Söhnchen und ich zu den Komparsen gehörten, war die Anwesenheit Cloridias eigentlich nicht vonnöten, doch Camilla de’ Rossi hatte das anfängliche Misstrauen meiner Frau so
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