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Verkehrt!

Verkehrt!

Titel: Verkehrt! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Nesch
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wenn mich jemand an einer sinnlosen Ampel warten sieht, denken die, ich bin krank oder so was.
    – Sei bitte vorsichtig mit meinem Körper.
    – Bin ich.
    Wir sind auf der anderen Seite und marschieren im Gleichschritt den Bürgersteig entlang.
    – Und ruf an, wenn etwas ist!, sagt sie und wiederholt damit, worüber wir vorhin gesprochen haben.
    – Ja, ja.
    – Nicht ja, ja, wir dürfen uns nicht anders verhalten als sonst, nur bis morgen Vormittag, das müssen wir hinkriegen.
    – Kriegen wir.
    – Das hoffe ich.
    Ich bleibe vor dem schmalen Durchgang in der Hecke stehen. Die dünnen Äste sind handbreit weggebrochen, aber wenn man es nicht weiß, vermutet man keinen Trampelpfad dahinter.
    – Was ist?, fragt sie.
    – Ich will dir nur einen anderen, kürzeren, viel kürzeren Weg zur Schule zeigen. Hier durch. Also normal gehst du ja hier die Straße runter, bis zum kleinen Tunnel, dann links, unter den Gleisen durch und dann wieder links, und dann gehst du quasi auf der anderen Seite die gleiche Strecke wieder zurück. Manchmal habe ich dazu keinen Bock, na ja, eigentlich nie. Und wenn du morgen früh keinen Bock hast, nicht willst, oder musst, was weiß ich, dann gehst du einfach hier durch die Hecke und immer geradeaus, den Bahnhang hoch über die Gleise, noch mal über die Gleise und auf der anderen Seite wieder runter, und schon stehst du vor unserer Anstalt.
    – Gleise?
    – Ja.
    – Ist da oben ein Bahnübergang?
    – Nein.
    – Ich geh doch nicht über Gleise.
    – Ist ungefährlich.
    – So ähnlich wie über rote Ampeln gehen?
    – So ähnlich.
    – Super.
    Ich gehe weiter, – Ich meine ja nur. Wir sind da. Das hier ist das Haus.
    – Das ist bewohnt?
    Ich folge ihrem Blick die Fassade hoch, die bis in zwei Meter Höhe mit schlechten Graffiti und Tags besprüht ist und darüber zahlreiche Risse aufweist, immer unterbrochen von Stellen, an denen der Putz abgeplatzt ist. Blinde Fenster mit gelben Nikotingardinen.
    – Warte ab, bis du das Hinterhaus siehst, sage ich und berühre sie kurz an der Hand, berühre kurz mich an der Hand, meine Hand, und wir schauen uns einen Moment lang an. Dann folgt sie mir durch die Einfahrt. Vor dem Hinterhof bleibe ich stehen, – Stopp.
    Ich beuge mich vor und spinxe um die Ecke zu den Garagen. Sechs rechts, sechs links.
    – Was hast du?, fragt sie.
    – Ich gucke, ob die Luft rein ist. Die Nummer zwölf ist …
    – Frank?, sagt Harry hinter uns.
    Seine Stimme lässt uns beide herumwirbeln.

15

    Frank? Das bin ich, jetzt. So. Und das? Ist das …
    – Harry, mein Alter, flüstert mir Frank ins Ohr und rempelt mich leicht an.
    Der Typ da? Die ungeschnittenen Haare, seit Tagen nicht gewaschen, das verschwitzte No-Name-T-Shirt mit Löchern, kaputte, schwarze Jeans, Jesuslatschen, dreckige Füße, schwarze Zehennägel, und mit einer zum Platzen gefüllten alten Helmuts-Trinkhalle-Plastiktüte in der Hand.
    Einen Pfarrer habe ich mir ganz anders vorgestellt.
    – Ich war kurz einkaufen, es lief nicht so.
    Was lief nicht so bei dem? Wo? Was? Auf dem Sozialamt? Bei seinem Betreuer?
    – Hast du … habt ihr schon Schule aus?
    Ich nicke in Zeitlupe. Er zwinkert mir zu, man könnte auch meinen wegen des Zigarettenqualmes in seinen Augen, aber er sagt, – Willst du mir sie nicht vorstellen?! Sag bloß, dein Alter ist dir peinlich?
    – D… das ist Elizabeth. Papa, Elizabeth.
    – Papa?, johlt er auf, lacht und hustet ein Kettenraucherhusten, – So hast du mich nicht mehr genannt, seit du laufen kannst.
    – Harry, ich weiß, sagt Frank hinter mir, – Das hat er mir schon gesagt.
    – Ich dachte schon, sagt Harry und schwingt sich den Beutel auf den Rücken.
    – Seid ihr in einer Klasse?
    – Ja.
    – Elizabeth?, fragt er seinen Sohn in meinem Körper.
    – Richtig, Harry, Elizabeth!, grinst er. Ganz offensichtlich macht ihm das Versteckspiel Spaß.
    – Elizabeth, Beth, Betty, Bette, wie Bette Middler!, sagt er.
    Wovon redet der? Ich schaue Frank fragend an.
    – Bette, kann ich dich Bette nennen?
    – Klar.
    – Cool, sagt Harry.
    Bette? Cool? Wie bitte?
    – So, ich muss, sagt Frank.
    – Bleib doch noch ein bisschen, sage ich, aber da latscht er schon die Einfahrt runter.
    Eine Schande, wenn mich einer so gehen sieht. Der kann noch nicht mal mit einem Edelkörper umgehen.
    – Dich hat’s ganz schön erwischt, was?!, sagt Harry.
    Zigarettenqualm zieht mir ins Gesicht, darunter mischt sich eine Weinfahne.
    – Was?

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