Verkehrt!
– Anschnallen, Elizabeth!
Dann spricht sie mit sich selber, – Ja, Claudia, wie immer. Und du?
Claudia? Aus den Augenwinkeln erkenne ich das kleine Headset im Ohr.
Die telefoniert!
Wir zischen ab. Sie redet mit der Frau nur Scheiß, immerhin muss ich nichts sagen. Kann ich mich auch nicht verplappern.
Ich ziehe die Nase hoch.
– Hallo!, fährt mich ihre Mutti an.
– ’tschuldigung, sage ich und wundere mich über mich selber. Ich musste gar nicht die Nase hochziehen, das war nur die Gewohnheit. Tss.
Wir fahren durch eine Siedlung mit Einfamilienhäusern, danach beginnt die Landstraße. Okay, da habe ich mich verschätzt, den Weg würde ich auch nicht mit dem Bus fahren wollen. Das geht schon in Ordnung mit dem Bringen und Abholen, in einem Porsche Cabrio. Jeder kann mal falschliegen.
17
Die Stufen der Holztreppe knarren. Nur die Trittflächen sind staubfrei, an den inneren und äußeren Rändern jeder Stufe sammeln sich die Flocken fingerdick. Auf der Fensterbank zum Innenhof rekelt sich braunes vertrocknetes Gestrüpp aus großen Blumentöpfen mit verschimmelter Erde, daneben liegen einige Wackersteine. Zahlen die Leute hier Miete, oder haben die das Haus besetzt?
Hartzvieren, das tun sie. Das ist eine Hartzviervilla.
Endlich, vierter Stock, unter dem Dach. Die Wohnungstür steht offen, davor tummeln sich einhundert leere Tetrapaks, Plastikflaschen und Gläser, dazu ein kleiner Berg Schuhe. Mit einem Finger stoße ich die Wohnungstür nach innen auf. Es riecht muffig. Die Hitze staut sich.
Aus einem der Zimmer jammert ein heiserer Sänger am Klavier, der Stimme nach zu urteilen, der gleiche wie in der Garage, Entschuldigung, dem Atelier!
Im Flur liegen einige bunte Teppiche, die sich gegenseitig überlappen, an den Enden hochgebogen wie Schinkenscheiben auf alten Frühstücksbrötchen, darüber verteilt ein paar alte Tennissocken, ungewaschen, Jacken, eine Jeans, dreckige Lappen, Tüten und Taschen, aufgerissene Briefumschläge, schiefe Fotos an den Wänden, die Tapete angemalt, scheinbar unter Drogen. Hier lebt Frank? Hier lebt jemand? Ein Mensch?
Vorsichtig betrete ich die Wohnung.
Es ist doch Zeit, Mittag zu essen. Macht hier keiner Mittag? Ich rieche nichts.
Die Küche ist klein, sie sieht aus, als hätte jemand die vier Wände nach innen verschoben, und dabei ist alles aus den Regalen und Hängeschränken auf die Ablagen und den Boden darunter gepurzelt.
Ich öffne den verbeulten Kühlschrank an der Halterung des abgebrochenen Türgriffs. Zwei halbe Flaschen Rotwein, ein Glas Marmelade in der hintersten Ecke, Margarine und Brot, und mittendrin liegen die Werbeflyer von zwei Pizzataxis, einem China-Imbiss und eine Handvoll abgelaufene Burger-King-Mega-Deal-Tickets in den vereisten Ablagen. Ich knall das Ding wieder zu.
Über dem verkrusteten Geschirr in der Spüle schwirren Fliegen. Ich zähle sechs zugeknotete Müllbeutel nebeneinander am Boden. Ich muss raus aus der Küche.
Vom Flur aus erkenne ich das Zimmer von Frank.
Anstatt meine Füße zu heben, schlurfe ich über den Boden und schiebe so den Müll wie eine Bugwelle vor meinen Füßen her und zur Seite, während ich hinter mir eine Fahrspur hinterlasse wie die Schiffe auf dem Rhein. Es raschelt, knistert, schabt und splittert. Ich werde immer langsamer, bis ich stehen bleibe, als wäre ich im Packeis aus Dreck stecken geblieben.
Über mir eine nackte Glühbirne, Staubfäden an der Decke. Kein Schrank, in dem nicht die Türen fehlen, und das Gerümpel dadrinnen sieht aus, als hätte es jemand von der anderen Seite des Raumes freistoßmäßig hineinbefördert.
Die Wände sind kahl, die weißen Tapeten eingerissen, nur die Poster einer Band, Gossen Posse, und eines schwarzen glatzköpfigen Boxers mit einer wirren Gesichtstätowierung und goldenen Zähnen hängen schief als farblicher Kontrast an der Wand über der Matratze.
So leben Assis, oder Drogenabhängige.
Plötzlich eine Frauenstimme hinter mir, – Frank?
Ich drehe mich um.
Oder drogenabhängige Assi-Nutten.
In diesem Siff gibt es eine Frau? Sie ist jung, aber sie hat doch Augen im Kopf und eine Nase im ungeschminkten Gesicht. Barfuß würde ich hier nicht herumlaufen. Und nur in Slip und Tanktop auch nicht. Die langen Haare hängen ihr strähnig über die Schultern. In der Hand eine selbstgedrehte Zigarette, oder ein Joint. Crack wahrscheinlich.
Sie schlägt ein Bein über das andere, – Was guckst du so?
Ich suche die Einstiche der Spritzen in deinen
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