Verlangen
seiner Frau und seufzte tief. »Ja, nun, es handelt sich da lediglich um eine amüsante kleine Geschichte, die ich zufällig heute morgen hörte. Sie kennen das Gerede der Menschen auf dem Land. Es scheint, als habe ein unerschrockener Jäger gestern nacht auf dem Weg nach Hause, als er eine Abkürzung nahm, einen Blick vom Bernsteinritter und seiner Lady erhascht. Sie kennen die Legende sicher?«
»Ich habe davon gehört.«
Victoria beugte sich gespannt vor. »Der Bernsteinritter und seine Lady wurden in der Gegend gesehen?«
Die Frau des Pfarrers lachte nervös. »Genau hier auf dem Anwesen. Zumindest wurde das heute morgen erzählt. Anscheinend spazierten der Ritter und seine Lady kurz nach Mitternacht durch die Gärten zum Herrenhaus. Ist das nicht nett?«
»Faszinierend«, sagte Victoria, als ihr dämmerte, was es mit der Geschichte auf sich hatte. Sie stellte sich vor, wie Lucas und sie in ihrem bernsteinfarbenen Umhang dem überraschten Wilderer in der Dunkelheit der Nacht erschienen waren. »Sie sagten, sie gingen durch die Gärten zum Herrenhaus?« Sie spürte Lucas’ drohenden Blick, zog es jedoch vor, ihn zu ignorieren. Es war einfach zu amüsant. »Weshalb sind sie Ihrer Meinung nach denn wohl mitten in der Nacht dort herumspaziert?«
Lucas räusperte sich. »Würdest du mir bitte noch eine Tasse Tee einschenken, meine Liebe? Ich bin ziemlich durstig.«
»Ja, natürlich.« Victoria sah ihn mit lachenden Augen an, während sie ihm pflichtbewußt den Tee eingoß. Er bedachte sie mit einem strengen Blick, was sie jedoch lediglich dazu veranlaßte, weiterzufragen. »Sie sagten, Mrs. Worth?«
»Bitte? Weshalb sie dort um Mitternacht herumspaziert sind? Oje.« Die gute Frau versuchte zu lächeln. »Nun, es sind Geister, müssen Sie wissen. Ich nehme an, das ist die einzige Zeit, in der ihnen gestattet ist herumzulaufen. Und der Legende nach fand das Paar großen Gefallen an mitternächtlichen Rendezvous. Offensichtlich pflegten die beiden nachts über die Ländereien zu reiten und erst kurz vor Morgengrauen zurückzukehren.«
Der Pfarrer räusperte sich. »Ich glaube, das sind genug der Spekulationen über Geister, meine Liebe. Graf Stonevale und seine Gattin werden noch denken, wir würden dem Dorfklatsch Glauben schenken.«
»Auf keinen Fall«, erklärte Victoria. »Ich finde das alles höchst interessant. Sie nicht, Stonevale?«
»Ich denke, das ist alles Unsinn«, sagte Lucas gepreßt.
»Sie müssen wissen«, beeilte sich die Frau des Pfarrers zu sagen, »die Dorfbewohner waren hingerissen von der Geschichte. Sie wollen sie glauben, weil sie glauben wollen, daß die Dinge hier sich wirklich zum Besseren wenden. Der Legende zufolge wird Stonevale erst wieder erblühen, wenn der Bernsteinritter und seine Lady zurückkommen. Ich hoffe, Sie verübeln den Leuten diese kleine hoffnungsvolle Geschichte nicht, Mylord.«
»Ja.« Victoria lächelte ihren Gatten an. »Bitte seien Sie kein Spielverderber, Stonevale.«
Der Pfarrer und seine Frau starrten Victoria entgeistert an. Lucas warf seiner Frau jedoch nur einen erneuten bösen Blick zu und trank seinen Tee.
Der Pfarrer, der offenbar spürte, daß er und seine Frau zufällig Zeugen einer kleinen zwischenehelichen Auseinandersetzung geworden waren, errötete noch ein wenig mehr und versuchte mutig, das Thema zu wechseln. »Auf jeden Fall würde ich es vorziehen, ein paar harmlosen Geistern zu begegnen als dem Wegelagerer, der seit ein paar Monaten hier in der Gegend sein Unwesen treibt.«
»Wegelagerer?« Victorias Interesse war sofort geweckt. »Was ist das für eine Geschichte über einen Wegelagerer? Sind Sie beraubt worden, Reverend?«
»Ich nicht. Und soweit ich weiß, auch niemand von den Dorfbewohnern. Ich möchte behaupten, daß sich ein Überfall auf einen von ihnen auch nicht lohnen würde. Aber es wurde von einer Reihe Kutschen berichtet, die überfallen wurden. Ich fürchte, der Bösewicht ist ein wenig ungeschickt. Bei einer Gelegenheit zog der Kutscher eine Pistole, und der Wegelagerer flüchtete sofort ins Gebüsch. Das zweite Mal ließ er sich von den Fahrgästen mit ein paar Münzen und einem wertlosen Ring abspeisen.«
»Für gewöhnlich haben Wegelagerer ein Versteck in der Gegend, in der sie ihr Geschäft betreiben«, bemerkte Lucas nachdenklich. »Meinen Sie, es könnte einer der Dorfbewohner sein?«
Der Pfarrer schüttelte ein wenig zu schnell den Kopf. Anscheinend war ihm unbehaglicher als je zuvor. »Ich denke nicht.
Weitere Kostenlose Bücher