Verlangen
Schiffes, in das wir letztes Jahr investiert haben. Anscheinend ist es sicher mit einer wunderbaren Fracht aus China zurückgekehrt. Wir sind demnach seit heute früh um einige tausend Pfund reicher. Ist das nicht nett?«
Victoria war sofort bei der Sache. Sie liebte aufregende Geschäfte. Ein gewisses Risiko machte einen Handel erst interessant.
»Hervorragend! Wir müssen uns bei Mr. Beckford bedanken, daß er uns dieses Schiff empfohlen hat. Oh, Tante Cleo, warte, ich wollte dich noch etwas fragen.« Victoria zog unter ihrem Stuhl das seidene Halstuch hervor, das sie in der Nacht an der Gewächshaustür gefunden hatte. »Kennst du das?«
Cleo betrachtete das Monogramm mit einem leichten Stirnrunzeln und gab es ihrer Nichte zurück. »Nein. Offensichtlich ist es keines von meinen. Wo hast du es gefunden?«
»Im Garten. Ich habe die Bediensteten gefragt, ob einer von ihnen etwas wüßte, aber keiner kannte das Tuch. Vielleicht gehört es einem der Mitglieder deiner Gesellschaft für Naturgeschichte«, sagte Victoria, während sie mit dem Finger über das elegant gestickte »W« strich.
»Hm, vielleicht. Es ist ein Männerhalstuch. Laß mich nachdenken. Wer von unseren Bekannten hat einen Namen mit >W Da sind zunächst einmal Wibberly und Wilkins. Ich werde sie fragen, wenn ich sie das nächste Mal sehe. Ist das alles, Vicky?«
»Ja, Tante Cleo. Das war alles, was ich fragen wollte. Laß uns mit Mr. Beckford über unseren jüngsten geschäftlichen Erfolg sprechen. Vielleicht hat er uns etwas Neues zu empfehlen.«
7
Victoria haßte es, doch sie mußte zugeben, daß der Vorschlag, ein Bordell zu besuchen, ein ernster Fehler gewesen war.
Sie umklammerte ihr Champagnerglas und saß angespannt in einer dunklen Ecke, teilweise verdeckt durch einen protzig vergoldeten Paravent. Es gab mehrere solcher diskret verdunkelten Ecken in diesem und dem Nebenraum. Die Dochte aller Lampen waren heruntergedreht. Hinter den Paravents waren betrunkenes Kichern und andere Geräusche höchst beunruhigender Art zu vernehmen. Victoria erschauderte bei dem Gedanken daran, was oben vor sich gehen mochte.
Es war sehr spät, weit nach drei Uhr morgens. Lucas hatte die Ankunftszeit festgelegt. Er hatte gesagt, er wolle nicht das Risiko eingehen, irgend jemandem zu begegnen, der noch nüchtern genug sein könnte, um Victoria zu erkennen. Außerdem hatte er dieses Etablissement gewählt, da es von Kunden aufgesucht wurde, die ein gewisses Maß an Ungestörtheit suchten. Daher die Paravents und das dämmrige Licht.
Außer Lucas schienen alle Leute um Victoria herum stockbetrunken zu sein. Ein paar Männer lagen heftig schnarchend ausgestreckt auf den rosa Samtsofas. Es war zu laut, zu heiß und zu stickig in diesem Raum. Außer den teuren Zigarren verqualmte ein anderer Rauch das rosa-goldene Zimmer, der aus ein paar seltsamen Pfeifen entströmte, die hier und dort herumstanden.
Allmählich wurde Victoria übel. Kurz zuvor hatte sie beobachtet, wie Lucas zwei junge Frauen, deren Kleider so tief ausgeschnitten waren, daß ihre rot angemalten Brustwarzen zu sehen waren, lässig fortwinkte.
»Wir sind heute nacht nur zum Zusehen gekommen«, hatte er leichthin erklärt, als eine der Frauen protestiert hatte.
»Aber es macht doch viel mehr Spaß, wenn man mitspielt«, flötete die andere. Sie hatte Lucas in einer Art angesehen, die in Victoria das Bedürfnis weckte, den Inhalt eines Nachttopfes über ihrem Kopf auszuleeren.
»Wie steht’s mit dem jungen Gentleman?« fragte die erste, während sie Victoria mit einem aufmunternden Lächeln bedachte. »Hätten Sie nicht Lust, mit mir nach oben zu kommen? Tja, Sie sind ein hübscher Junge. Ich habe einen wunderschönen Spiegel an der Wand in meinem Zimmer, darin können Sie alles sehen. Und Sie sollten sich mal meine Ruten- und Peitschensammlung angucken. Jede einzelne ebenso gut wie die, die sie in der Schule für die kleinen Lords verwenden.«
Victoria hatte hastig den Kopf geschüttelt und sich ein wenig tiefer in den Schatten verzogen. Lucas hatte ihr einen hämischen Blick zugeworfen und weiter an seinem Champagner genippt. Er war keine große Hilfe. Sie hörte ihn fast. »Ich habe Sie gewarnt.«
Und nicht nur die Idee mit dem Bordell war schlecht gewesen. Die Männerkleider, die sie trug, erwiesen sich nach kurzer Zeit als höchst unbequem. Zum Beispiel die Krawatte saß heute nacht viel zu hoch und viel zu eng. Die oberen Falten bedeckten ihr Kinn und die Hälfte ihrer Ohren. Sie
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